Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
doch wenigstens ein bisschen schmeicheln, wenn ein Typ einfach nicht lockerlässt.«
»Was ihm gefällt, ist die Ärztin. Als ich andeutete, dass ich ans Aufhören dächte, sagte er: ›Trau dich ja nicht.‹«
Leo lächelte, oder besser, er verzog ironisch den Mund. »Erzähl mir bloß nicht, dass Ray und ich etwas gemeinsam haben?«
»Wenn ich ihm jemals erzähle, wie Hastings mich vor versammelter Mannschaft im OP zur Schnecke gemacht hat, weißt du, was der dann macht? Er kriegt heraus, wo Hastings wohnt, und wartet vor seinem Haus, bis es dunkel wird. Mit einem Wagenheber.«
Leo richtete sich auf. »Ist er dir gegenüber jemals irgendwie gewalttätig geworden?«
Nein, sagte ich, natürlich nicht.
»Warum sagst du dann so etwas?«
Ich warf einen Blick auf meinen Morgenmantel und schloss die offenherzigen Stellen mit der Hand. »Ist nur so ein Gefühl über seine Art, Probleme zu lösen … seine Vorstellung davon, wie die Welt tickt.«
»Hast du manchmal auch ein Gefühl für seine guten Seiten?«
Ich hätte eine Reihe von Impulsen aufzählen können - Reiselust, Loyalität, Einsatzbereitschaft -, die Ray antrieben und nicht krimineller Natur waren, aber sonst fiel mir nichts ein. »War das Thema dieser Konferenz nicht mein Berufsleben?«, fragte ich.
» Konferenz ?« Leo lächelte. »Ist das eine Konferenz? Oder ein Abendessen mit deinem Hausgenossen.«
»Ich weiß, du möchtest mir helfen, und ich werde deine diversen Empfehlungen auch in meine Überlegungen miteinbeziehen, und das hier ist definitiv ein Abendessen …«
»Aber?«
»Ich bin nicht du. Leo Frawley kann sich vielleicht mit anderen Leuten anlegen und sie verklagen, aber ich nicht.«
Er tätschelte mir den Arm, blickte ratlos drein, sah auf die Uhr der Mikrowelle. Er hüstelte, dann erhob er einen Finger, als wolle er mich noch ein letztes Mal um Nachsicht bitten. »Hast du deine Kündigung deinem Vorgesetzten gegeben oder seiner Sekretärin?«
»Weder noch. Ich hab sie ihm auf den Tisch gelegt.«
»Wann?«
»So gegen sechs Uhr.«
Er klopfte mit den Knöcheln auf die Tischplatte. »Hervorragend. Komm, wir holen sie uns.«
»Aber ich habe dir doch gerade gesagt -«
»Nein. Planänderung. Das hält dich nicht davon ab, morgen wieder zu kündigen. Das ist nur ein Aufschub.«
Ich schüttelte den Kopf. »Schlechter Plan. Sein Büro ist sicher abgeschlossen. Der Alarm wird losgehen und die vom Sicherheitsdienst werden uns festnehmen.«
»Falsch. Wir werden jemand mit einem Generalschlüssel finden. Wir werden die Mithilfe des Reinigungspersonals in Anspruch nehmen. Wir werden sagen …« Er schloss einen Moment die Augen und öffnete sie wieder. Weit und gefüllt mit Inspiration. »Wie wär’s damit: Wir sagen die Wahrheit! Wir sagen: ›Alice hatte einen katastrophalen Tag. Sie hat gekündigt und den Brief auf Dr. Kennicks Schreibtisch gelegt, aber jetzt hat sie es sich anders überlegt. Können Sie ihr aufsperren? Sie wird Ihnen den Brief zeigen, und wenn was nicht stimmt, können Sie uns in Gewahrsam nehmen oder durchsuchen oder unsere Eltern anrufen.‹«
Ich sah Leo an. Es war so einfach. Er glaubte so fest an sich und an die Wahrheit und den guten Willen sämtlicher Krankenhausmitarbeiter. »Muss ich dich bei dieser Gaunerei begleiten?«, fragte ich.
»Unbedingt. Niemand wird deinen Brief retten, nur weil ich das sage. Na los.«
»Wir stinken nach Bier. Wird das unsere Mission nicht gefährden?«
Leo lächelte. »Mission«, wiederholte er. »So ist’s brav.«
12
KLARSTELLUNG
Leo winkte verschiedenen Leuten vom Reinigungspersonal zu, bis er auf Ruben traf, dessen Zwillinge, wie Leo mir erzählte, in der einunddreißigsten Woche mit Ateminsuffizienz zur Welt kamen.
»Wie geht’s meinen Jungs?«, fragte Leo und grinste über das ganze Gesicht.
Ruben schlang einen Arm um Leos Schulter und drückte ihn an sich. »Wunderbar! Gesund! Essen gut! Schlafen gut! Kein Problem!«
Leo stellte mich als seine Mitbewohnerin vor, was Ruben dazu veranlasste, zuerst mein Namensschild und dann meine Oberweite zu inspizieren.
»Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Leo.
»Alles für Dr. Leo«, antwortete Ruben.
Leo stupste mich mit dem Ellbogen an, was ich als Aufforderung verstand, den guten Mann momentan in seinem Glauben zu belassen.
»Es ist ein ziemlich großer Gefallen«, fuhr Leo fort. »Ich möchte also, dass Sie mir versprechen, mir zu sagen, wenn er Sie auch nur in die geringste Verlegenheit bringt.«
Ruben wollte nichts davon
Weitere Kostenlose Bücher