Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Patienten darstellen.«
Ich sagte, ich würde ganz bestimmt Fortschritte machen. Wenn er nur ein wenig Vertrauen hätte, bekäme ich vielleicht auch welches. War das zu viel verlangt? Eine Feuerprobe gehörte nicht zu meinen idealen Arbeitsbedingungen.
»Sie wussten, worauf Sie sich einließen«, fuhr er mich an. »Wir alle mussten da durch, und jetzt sind Sie an der Reihe. Dadurch trennt sich der Chirurgenweizen von der Ärztespreu. Körperliche Erschöpfung ist keine Entschuldigung für Fehler.« Nun ergossen sich Sportanalogien über mein Haupt: Ein Fehlschuss noch, dann wäre ich draußen. Eine ungeschickte Ballberührung, und ich säße auf der Ersatzbank. Eine falsche Geste, egal, ob gegenüber dem Spielmacher oder dem Wasserjungen, und ich flöge aus dem Team.
Leo würde am Boden zerstört sein. Er hatte sich bereits ausgemalt, wie ich das Büro verlassen würde: mit einer Entschuldigung von Kennick und der Aussicht auf eine weitere von Seiten eines gedemütigten und gemaßregelten Charles G. Hastings. Stattdessen akzeptierte ich ein Angebot, das mir überaus fair erschien: zwei Monate, um mich zu bessern. Zwei Monate, um zu zeigen, was ich draufhatte. Zwei Monate, um mich für die Mannschaftsaufstellung zu qualifizieren.
Da fiel mir ein, dass ich noch darauf aufmerksam machen wollte, wie ich schikaniert, beschimpft, diskriminiert und angebrüllt worden war. Vor Zeugen.
»Was ich auch nicht bestreite -«
»- von einem großmäuligen Arschloch«, hörte ich mich sagen.
»Dieses großmäulige Arschloch ist der nächste Präsident des Bundes amerikanischer Chirurgen«, konstatierte Kennick und trug etwas in meine Akte ein.
Dr. Courage schritt hocherhobenen Hauptes aus dem Büro, vorbei an Yolanda, die sich bemühte, nicht so dreinzusehen, als genösse sie selbst die kleinste Etappe in meinem beruflichen Abstieg, den Flur entlang zur Damentoilette, hinein in die hinterste Kabine, wo ich mich übergab. Ich wollte mich da gar nicht länger aufhalten, hatte auch keine Zeit für Aufführungen dieser Art, aber irgendwie war mir von Adrenalinabbau und Übermüdung schwindlig geworden. Ich setzte mich auf den Boden und ersann eine Unterhaltung, im Laufe derer eine mitfühlende Seele sich vom Waschbecken her erkundigen würde: »Alles in Ordnung bei Ihnen da drinnen?«
»Nur die Nerven«, würde ich antworten. »Ich habe Bewährung - das gab es in dieser Abteilung noch nie. So eine Niete hatten die bisher noch nie.«
Dann würde das Phantom fragen: »Könnte es sein, dass Sie einen Anfall von Morgenübelkeit haben?«
»Ja«, würde mein gesprächiges Alter Ego antworten. »Ich habe es gerade erst erfahren. Noch weiß niemand Bescheid.«
Woher kamen dieses Tableau und dieses Gespräch? Niemand hatte mich geschwängert. Nicht einmal versuchsweise. Vor meiner Kabine war kein Beinpaar zu sehen. Ich wedelte mit der Hand vor dem Sensor, um die Spülung noch einmal zu betätigen, dann überprüfte ich meinen Puls. Ich lebte. Ich erkannte meine Umgebung wieder: graue Fliesen, weiße Fugen, weißes Porzellan. Das waren meine Stoffschuhe, meine weiße Jacke, mein Schottenrock, meine braune Strumpfhose, mein Namensschild. Eigenartig - ich benutzte meine Fantasie, um ein Mini-Stück zu schreiben, in dem mein Alter Ego die Hauptrolle spielte, eine Alice, die tatsächlich ein Leben führte, und deren Periode ausgeblieben war. Ich wischte mir den Mund mit Klopapier ab und ging hinaus zu den Waschbecken. Ich wollte nicht in den Spiegel sehen und tat es trotzdem: Ich hatte rote Augen und war blass. Ich war nicht gekämmt, aber Relikte des Zopfes, den ich mir gestern geflochten hatte, waren noch zu erkennen. Ein Ausdruck meines Vaters kam mir in den Sinn: Schlaffsack . Ich hatte dieses Gesicht satt, hatte mich satt. Ich musste etwas tun, etwas Maßloses, Spektakuläres, Drastisches. Aber was? Allzu viele Möglichkeiten gab es nicht: Ich konnte gehen und nie mehr wiederkommen. Ich konnte mir ein Fachgebiet suchen, das mich nicht umbringen würde. Ich konnte Dr. Hastings verklagen. Dr. Hastings ermorden. Meinen Zopf abschneiden. Vitamine nehmen. Amphetamine nehmen. Ray anrufen und ihm sagen, er solle mich in Ruhe lassen. Ray anrufen und ihm sagen, ich wolle Sex.
Sex . Ich spülte mir den Mund aus und trocknete mir die Hände ab. Geschlechtsverkehr in meinem Bett, argumentierte ich, würde weniger Zeit und Energie beanspruchen als Essen gehen oder ein Kinobesuch. Und fünf Minuten nach dem Akt konnte ich bereits tief und fest
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