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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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adoptierten Kindern; Briefe in Plastikhüllen, die man auf poliertes Holz aufgezogen hatte, dankten Gott dafür, daß er die Mutter bei ihrer Prüfung unterstützt und ihnen endlich ein Kind geschenkt hatte. Lucy betrachtete eine Mutter mittleren Alters, untersetzt und verhärmt; wie Maria auf einer Ikone auf dem Berg Athos floss sie über vor Liebe und Zärtlichkeit für ihr kostbares, adoptiertes Kind. Lucy bemerkte, daß die Frau am Empfang einen Anstecker trug, zwei winzige Babyfüßchen. Farley erklärte, daß dieser Anstecker eine Idee vom Center Jerry Falwells in Lynchburg sei, dem Vorbild für dieses Center hier: Die winzigen Füßchen zeigten die Größe der Füße eines Fötus von neun Wochen. Lucy stieß die Plumpheit dieses Appells ab. Farley wurde mittlerweile von drei schwangeren Teenagern angesprochen, die ihn aus dem Fernsehen wiedererkannten: »Farrrrrley«, säuselte ein breitgesichtiges, stämmiges Mädchen lachend, »es wäre immer noch Zeit, mich zu heiraten und dieses Baby legitim zu machen!«
    Lucy beobachtete die Mädchen. Wie oft würden sie ihre Entscheidung noch bereuen? Wenn sie älter wurden und eine Welt erlebten, in der eine ledige Mutter nicht stigmatisiert war – würden sie diese Wochen nicht wieder und wieder in ihrem Gedächtnis durchspielen? Würden sie nicht an die Agentur schreiben und ihr Kind kennenlernen wollen? Oder vielleicht lag hier die Stärke der Religion, die Unerschütterlichkeit des Glaubens, der sagte: Gott hat mich zu dieser Entscheidung geführt, und es ist vorbei. Für immer und ewig.
    Als Farley und Lucy zum Kombi zurückgingen, um zur nächsten Station ihrer Tour zu fahren, musste sie innerlich zugeben, daß Reverend Bullins’ Werke nicht ausschließlich, wie zuerst vermutet, Gauner tricks waren, um Geld zu scheffeln. Fehlgeleitet und zur eigenen Selbstbedienung gedacht, das wollte sie nicht leugnen, aber in gewisser Weise … zumindest ehrlich. Und Farley und sein Vater schienen von einer Art Vision geleitet. Ihr gefielen die Ungezwungenheit und das Lachen Farleys im Umgang mit den schwangeren Mädchen, so ganz ohne Verurteilung, nur darauf bedacht, Nächstenliebe und Freundlichkeit auszustrahlen, so daß keines der Mädchen sich als die ausgestoßene Sünderin der TPL-Familie fühlen musste . Der Katholizismus, räumte Lucy ein, hat keine solche Gemeinschaft … Wobei sie sich fragte, ob diese Gemeinschaft vielleicht weniger aus dem Christentum der Pfingstgemeinde als vielmehr aus dem engmaschigeren gesellschaftlichen Netz im tiefen Süden entsprang. »Und jetzt zum Hauptcampus«, sagte Farley , als er wieder am Steuer saß und vor einer Bodenwelle bremste.
    Lucy betrachtete die Studenten, die jetzt um drei Uhr die Kurse wechselten. Die Jungen und Mädchen sahen ganz normal aus. Ungewöhnlich gut aussehend und frisch geschrubbt vielleicht, aber normal. Sie war nicht sicher, was sie erwartet hatte. Ekstatisches Zungenreden und Wunderheilungen vor den Schlafsälen vielleicht. Mehrere Studenten erkannten Farley und winkten lebhaft. Trotz der Klimaanlage drehte Farley das Fenster herunter und konterte gutmütige Spötteleien und Fragen. Wie war es in Jerusalem gewesen? Hatte er ihnen allen ein Souvenir mitgebracht? Mein innerster Instinkt gebietet mir, nach der zynischen Kehrseite dieser lächelnden Anständigkeit und Kameradschaftlichkeit zu suchen, dachte Lucy, aber wahrscheinlich gibt es sie nicht. Südstaatenjugendli che aus christlichen Elternhäusern auf dem Land; El tern, die wollten, daß ihre Kinder einen netten Jungen oder ein nettes Mädchen kennenlernen, mit dem Sex warten, bis sie verheiratet sind, eine höfliche Zeit des Werbens in einer Atmosphäre von Gebet und guten Ratschlägen für die künftige Zeit der Ehe; und nach dem Examen dann eine große Hochzeit, an der die ganze Schule teilnimmt, jeder ist glücklich, jeder lächelt und ist erfüllt von agape und caritas.
    Eine Frage kam Lucy in den Sinn: »Was ist mit der Evolution, Farley? Wird das hier gelehrt?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Hier wird also wirklich gelehrt, daß die Welt 6000 Jahre alt ist, trotz aller Felsen und Fossilien?«
    »Das ist es, was die Bibel uns glauben lässt «, erwiderte Farley unget rübt, »und entweder ist es hun dertprozentig wahr, oder es ist die größte Lüge aller Zeiten.«
    »Farley«, sagte Lucy aufgebracht, »verzeih mir, aber das ist ein wenig … lächerlich. Die spirituelle Wahrheit der Bibel kann intakt sein, ohne daß jede Tatsache oder jede historische

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