Der Dritte Zwilling.
Flammen.
Als er die Hand auf den Türgriff legte, fiel ein Schuß.
Irgendjemand stieß einen Schrei aus.
Er hat über meinen Kopf geschossen , dachte Steve, drehte sich aber nicht noch einmal um. Er rannte zur Tür hinaus und stürmte die lange Freitreppe vor dem Eingang hinunter. Es war inzwischen dunkel geworden; Straßenlaternen erhellten den Parkplatz. Er hörte aufgeregte Stimmen hinter sich, dann fiel ein zweiter Schuß. Am Fuß der Treppe verließ er den Weg und suchte Zuflucht im Gebüsch.
Eine Straße lag vor ihm, als er wieder aus seiner Deckung trat. Er rannte weiter.
Vor ihm tauchten mehrere hintereinander liegende Bushaltestellen auf. Steve verringerte seine Geschwindigkeit und ging in gemächlichem Schritt weiter. Ein Bus fuhr an einer der Haltestellen vor und blieb stehen. Zwei Soldaten stiegen aus, eine Frau in Zivil stieg ein. Unmittelbar hinter ihr folgte Steve.
Der Bus fuhr an, verließ das Parkplatzgelände, bog auf die Schnellstraße ein und ließ das Pentagon hinter sich.
Kapitel 50
Jeannie hatte Lorraine Logan innerhalb von nur wenigen Stunden sehr schätzen gelernt.
Steves Mutter war viel dicker, als man nach dem Foto über der Kummerkastenspalte der Zeitungen hätte meinen mögen. Wenn sie lächelte - was sehr oft der Fall war -, zeigten sich auf ihrem runden Gesicht viele kleine Fältchen. Um Jeannie und sich selbst ein wenig von ihren Sorgen abzulenken, erzählte sie ihr von den Problemen, mit denen sich die Menschen herumschlugen, die ihr Briefe schrieben – von herrschsüchtigen Schwiegereltern, gewalttätigen Ehemännern, impotenten Freunden, grapschenden Chefs, drogensüchtigen Töchtern … Zu jedem Thema hatte Lorraine etwas zu sagen, das in Jeannie die Reaktion auslöste: Ja, natürlich - wieso habe ich das bisher nicht auch so gesehen?
Sie saßen in der herabsinkenden Abendkühle auf der Terrasse und warteten unruhig auf die Rückkehr von Steve und seinem Vater. Jeannie erzählte ihr von Lisas Vergewaltigung. »Solange es geht, wird sie so tun, als sei es nie geschehen«, sagte Lorraine.
»Ja, genauso verhält sie sich zur Zeit.«
»Diese Phase kann ein halbes Jahr lang dauern. Früher oder später wird sie dann aber einsehen, daß sie die Geschehnisse nicht länger verdrängen kann und versuchen muß, mit ihnen zu leben. Diese Phase beginnt oft zu einem Zeitpunkt, wenn die Frau versucht, wieder normale sexuelle Beziehungen aufzunehmen, und dabei feststellt, daß sie nicht mehr so empfindet wie früher. Das ist dann der Punkt, an dem sich die Betroffenen oft an mich wenden.«
»Und was raten Sie ihnen?«
»Ich rate ihnen zu einer Therapie. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Eine Vergewaltigung verletzt die Seele der Frau, und diese Wunde gilt es zu heilen.«
»Das hat die Polizei Lisa auch empfohlen.«
Lorraine hob die Brauen. »Ja, es gibt schon den einen oder anderen vernünftigen Bullen.«
Jeannie lächelte. »Es war eine Polizistin.«
Lorraine lachte. »Da werfen wir den Männern Sexismus vor - und was tun wir selbst? Ich bitte Sie, sagen Sie’s nicht weiter, was ich mir da eben geleistet habe …«
»Versprochen.«
Nach einer kurzen Pause sagte Lorraine: »Steve liebt Sie.«
Jeannie nickte. »Ja, ich glaube, da haben Sie recht.«
»Eine Mutter spürt so etwas.«
»Dann hat er wohl schon andere geliebt?«
»Sie sind ja eine ganz Raffinierte …« Lorraine lächelte. »Ja, das stimmt. Aber wirklich nur eine.«
»Erzählen Sie mir von ihr – wenn Sie meinen, daß er nichts dagegen hätte.«
»Okay. Sie hieß Fanny Gallaher. Sie hatte grüne Augen und welliges, dunkelrotes Haar, ein lebhaftes, leichtsinniges Ding – und das einzige Mädchen in der gesamten High School, das sich nicht für Steve interessierte. Monatelang hat sie seinem Liebeswerben widerstanden – am Ende bekam er sie dann doch. Ungefähr ein Jahr lang gingen die beiden miteinander.«
»Glauben Sie, daß sie auch miteinander geschlafen haben?«
»Ich weiß es. Sie haben ja hier im Haus übernachtet. Warum soll man die jungen Leute zwingen, auf einsamen Parkplätzen herumzuknutschen? Davon halte ich überhaupt nichts.«
»Und was sagten Fannys Eltern dazu?«
»Ich habe mich mit ihrer Mutter darüber unterhalten. Sie war derselben Meinung.«
»Ich wurde mit vierzehn Jahren in einer Gasse hinter einem Punk-Rock-Club entjungfert. Das Erlebnis war dermaßen deprimierend, daß ich es erst mit einundzwanzig wieder probiert habe. Ich wünschte, meine Mutter hätte so gedacht wie
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