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Der Dritte Zwilling.

Der Dritte Zwilling.

Titel: Der Dritte Zwilling. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mich verdächtigt, hier eingedrungen zu sein.«
    Jeannie fragte sich, was sie eigentlich erwartet hatte. Einen Plan der Sporthalle, auf dem der Maschinenraum des Schwimmbeckens angekreuzt und mit der Bemerkung »Pack sie dir hier« versehen war? Lisas Unterwäsche als perverses Souvenir hatte er nicht mitgenommen. Vielleicht war er ihr schon Wochen vor der Tat nachgeschlichen und hatte sie heimlich fotografiert? Vielleicht hatte er sich auch eine kleine Sammlung von Schnickschnack angelegt, den er im Laufe der Zeit stibitzt hatte - einen Lippenstift, eine Restaurantrechnung, die aufgelesene Verpackung eines Schokoriegels oder Reklamesendungen mit Lisas Anschrift?
    Je mehr sich Jeannie in der kleinen Wohnung umsah, desto deutlicher erkannte sie Harveys Persönlichkeit. An einer Wand hing ein Poster aus einem Herrenmagazin. Es zeigte eine nackte Frau mit rasierten Schamhaaren und einem durch die Schamlippen gezogenen Ring. Jeannie schauderte unwillkürlich.
    Sie inspizierte das Bücherregal. Neben Die hundert Tage von Sodom des Marquis de Sade fielen ihr mehrere nicht jugendfreie Videobänder mit Titeln wie Pain oder Extreme auf. Einige volks- und betriebswirtschaftliche Lehrbücher standen ebenfalls im Regal und ließen Rückschlüsse auf Harveys Studiengang zu.
    »Darf ich mir mal seine Kleider ansehen?« fragte sie Maldwyn. Sie wollte den alten Herrn nicht verärgern.
    »Ja, natürlich. Warum nicht?«
    Jeannie öffnete Schubladen und Schränke. Harveys Garderobe war ein wenig konservativ für sein Alter und erinnerte an die von Steve: grobe Baumwollhosen und Polohemden, Sportsakkos aus Tweed, Hemden mit geknöpften Kragen, klassische Oxford-Schnürschube und saloppe Halbschuhe. Der Kühlschrank war, abgesehen von einem Sechserpack Bierdosen und einer Flasche Milch, leer: Harvey pflegte auswärts zu essen. Unter dem Bett lag eine Sporttasche mit einem Squash-Schläger und einem benutzten Handtuch.
    Jeannie war enttäuscht. Hier lebte dieses Ungeheuer - doch es war kein Hort der Perversion, sondern nur eine schmuddelige Studentenbude, ausgestattet mit ein wenig unappetitlicher Pornographie.
    »Ich bin fertig«, sagte sie zu Maldwyn. »Ich weiß gar nicht genau, wonach ich suche. Gefunden habe ich es jedenfalls nicht.«
    Und dann entdeckte sie es.
    An einem Haken hinter der Wohnungstür hing eine rote Baseballmütze. Jeannies Stimmung hob sich schlagartig. Ich hatte recht1. Ich hab’ das Schwein gefunden, und hier ist der Beweis! Sie sah sich die Mütze näher an. In weißen Buchstaben prangte auf der Vorderseite das Wort SECURITY. Jeannie konnte der Versuchung nicht widerstehen, in Harveys Wohnung einen triumphalen Kriegstanz zu vollführen.
    »Was gefunden, oder?«
    »Der Mistkerl hatte diese Mütze auf, als er meine Freundin vergewaltigte. Sehen wir zu, daß wir hier rauskommen.«
    Sie verließen die Wohnung und schlössen die Tür. Jeannie schüttelte Maldwyn die Hand. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dank bar ich Ihnen bin. Sie haben uns ein großes Stück weitergebracht.«
    »Was werden Sie jetzt unternehmen?« fragte er.
    »Ich fahre zurück nach Baltimore und rufe die Polizei an«, antwortete Jeannie.
    Auf der Heimfahrt über die 1-95 dachte sie über Harvey Jones nach. Warum fuhr er an Sonntagen regelmäßig nach Baltimore? Hatte er dort eine Freundin?
    Möglich, aber die wahrscheinlichste Erklärung bestand darin, daß seine Eltern dort lebten. Viele Studenten nahmen ihre Wäsche am Wochenende mit nach Hause. Vermutlich saß er jetzt irgendwo in der Stadt am Tisch und ließ sich Mutters Schmorbraten schmecken. Oder er saß mit seinem Vater vor dem Fernseher und sah sich ein Football-Spiel an. Ob er auf dem Heimweg wieder ein Mädchen überfallen würde?
    Wie viele Familien mit Namen Jones gab es in Baltimore? Eintausend? Einer war ihr bekannt: Professor Berrington Jones, ihr ehemaliger Chef …
    O mein Gott! Jones!
    Sie war so entsetzt, daß sie kurz auf den Seitenstreifen fahren mußte.
    Harvey Jones könnte Berringtons Sohn sein.
    Plötzlich fiel ihr eine kleine Geste Harveys ein. Bei ihrer ersten Begegnung in jenem Cafe in Philadelphia hatte er mit der Spitze des Zeigefingers seine Augenbrauen geglättet. Es hatte sie damals irritiert, weil sie es schon einmal gesehen hatte, sich aber nicht mehr daran erinnern konnte, bei wem. Sie hatte vermutet, daß es Steve oder Dennis gewesen sein mußte, denn die Klone ähnelten sich auch in ihren Gesten stark. Doch jetzt war ihr alles klar: Es war

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