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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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keinen Mann abgekriegt hatte.
    Es gab viele solcher Gefahren, bei denen die Familie von vornherein im Nachteil war. Die Kinder kränkelten mehr als in der Heimat, aber woher sollten unsere Freunde wissen, daß ihr Haus nicht an die Kanalisation angeschlossen war und daß in der Senkgrube unter ihm die Abwässer von fünfzehn Jahren standen? Woher sollten sie wissen, daß die bläuliche Milch, die sie im Laden um die Ecke kauften, mit Wasser verdünnt und mit Formaldehyd behandelt war? Wenn die Kinder daheim in Litauen mal krank gewesen waren, hatte Teta Elzbieta Kräuter gesammelt und sie damit kuriert; hier dagegen mußte sie zum Drugstore gehen und Säfte und Extrakte kaufen – wie konnte sie wissen, daß die samt und sonders verfälscht waren? Woran sollten sie merken, daß ihr Tee und Kaffee, ihr Zucker und ihr Mehl durch Zusätze gestreckt, ihre Dosenerbsen mit Kupfersalzen und ihre Marmelade mit Anilin gefärbt waren? Und selbst wenn es ihnen bekannt gewesen wäre – was hätte ihnen das genutzt, da es ja in meilenweitem Umkreis nichts anderes zu kaufen gab? Der kalte Winter stand vor der Tür, und sie mußten für mehr Kleidung und Bettzeug sparen, aber im Grunde war es egal, wieviel sie zurücklegten, denn Sachen, die richtig warmhielten, konnten sie ohnehin nicht bekommen; alle Kleidung, die in den Warenhäusern zu haben war, bestand aus Cotton und Shoddy, also aus Baum- und Lumpenwolle. Zahlten sie höhere Preise, kriegten sie vielleicht modischen Firlefanz oder wurden einfach nur betrogen; wirkliche Qualität gab es weder für Geld noch für gute Worte. Ein junger Bekannter von Szedvilas, der erst vor kurzem hier zugezogen und in einem Geschäft in der Ashland Avenue als Verkäufer untergekommen war, erzählte belustigt, wie sein Chef neulich einen naiven Mann vom Lande angeschmiert hatte: Der Kunde verlangte eine Weckeruhr, und der Chef legte ihm zwei genau gleiche vor. Die eine, erklärte er, koste einen Dollar, und die andere einen Dollar fünfundsiebzig. Nach dem Unterschied befragt, zog er die erste halb und die zweite ganz auf und demonstrierte dann, daß die zweite doppelt so lange läutete. Daraufhin meinte der Kunde, er habe einen festen Schlaf, und da sei es wohl besser, das teurere Modell zu nehmen!
     
    Ein Dichter hat geschrieben:
     
    Gefestigter wird das Herz und edler die Haltung,
    Wenn unsre Jugend läutert das Feuer der Qualen.
     
    Doch dürfte er damit wohl kaum jene Qualen gemeint haben, die von Armut herrühren und die so unendlich drückend und grausam sind und dabei so erbärmlich und schäbig, so häßlich, so erniedrigend – ohne daß der leiseste Hauch von Würde oder auch nur Pathos sie mildert. Diese Art von Qualen ist gewöhnlich kein Thema für Dichter; allein schon die Ausdrücke dafür sind im Wortschatz der Poeten verpönt – sich in der Gesellschaft über solche Dinge auszulassen gilt ja als unfein. Wie könnte zum Beispiel jemand bei Liebhabern guter Literatur Anklang erhoffen, wenn er schildert, wie eine Familie entdeckt, daß es in ihrem Haus von Ungeziefer wimmelt, was sie dadurch an Ungemach und Pein erleidet und was ihr Kampf dagegen sie von ihrem sauer verdienten Geld kostet? Nach langem Zögern und Zweifeln zahlten unsere Freunde fünfundzwanzig Cent für eine große Tüte Insektenpulver – ein patentiertes Präparat, das vermutlich zu fünfundneunzig Prozent aus harmlosem Gips bestand und das herzustellen sicher nicht mehr als zwei Cent gekostet hatte. Natürlich zeitigte es nicht die geringste Wirkung, außer an ein paar Küchenschaben, die zu ihrem Unglück Wasser soffen, nachdem sie von dem Pulver gefressen hatten, und in deren Magen der Gips dann hart wurde. Der Familie, die von all dem keine Ahnung hatte und es sich nicht leisten konnte, noch mehr Geld zum Fenster hinauszuwerfen, blieb nichts anderes übrig, als aufzugeben und sich mit einer weiteren Plage abzufinden.
    Und dann die Sache mit dem alten Antanas. Es war nun Winter, und er arbeitete in einem dunklen, ungeheizten Keller, wo man den ganzen Tag den Atem vor dem Mund sehen konnte und wo einem manchmal vor Kälte die Finger erstarrten. Des alten Mannes Husten wurde von Tag zu Tag ärger, bis er schließlich kaum noch aufhörte und das den anderen dort lästig fiel. Doch dann holte sich Antanas noch etwas viel Schrecklicheres. Bei seiner Arbeit stand er mit den Füßen ständig im Nassen, in einer Lache aus Chemikalien, und es dauerte nicht lange, da hatten die sich durch seine neuen Stiefel

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