Der Duft
Sie! Wir müssen hier raus! Sofort!«, rief Marie und zerrte die verwirrte Agentin Wu von ihrem Platz weg.
Etwa zwei Drittel der Menschen in der Überwachungszentrale waren Männer. Sie prügelten aufeinander ein oder warfen Monitore
und Laptops durch den Raum. Ein Agent stand an der Wand und schlug immer wieder mit dem Kopf dagegen. Seine Stirn war blutüberströmt.
Harrisburg stand da und hielt sich die Nase zu, aber es war offensichtlich, dass er nicht lange würde durchhalten können,
bevor das Pheromon auch seinen Verstand außer Kraft setzte. Einige der Frauen versuchten vergeblich, die Auseinandersetzungen
zu beenden, andere kauerten verstört unter den Tischen. Zum Glück hatte niemand im Raum eine Schusswaffe.
»Was zum Teufel ist hier los?«, schrie Wu und versuchte, sich loszureißen. In ihrem Gesicht lagen Angst und unverhohlenes
Misstrauen.
»Ein Terrorangriff mit einem Pheromon!« Marie hatte keine Zeit für lange Erklärungen. »Wir müssen die Klimaanlage ausschalten!
Schnell!«
Wu nickte und folgte Marie aus dem Raum. »Hier entlang«, rief sie und rannte den Gang hinab zu einem Treppenhaus. Sie hasteten
zwei Etagen nach unten und durch ein Labyrinth von nüchtern weiß gestrichenen, neonbeleuchteten Korridoren. Als sie um eine
Ecke kamen, blieb Wu abrupt stehen, sodass Marie sie beinahe umgerannt hätte.
Ein paar Meter vor ihnen stand ein Putzwagen. Die Frau, die sie auf dem Monitor gesehen hatten, lag auf dem |361| Boden, den Rücken zur Wand gedreht, und hielt sich mit beiden Händen den blutenden Bauch. Sie sah sie mit tränenden Augen
an. Ein Stück weiter lag ein Sicherheitsbeamter in einer Blutlache. Sein Blick war leer. Ein zweiter Mann stand über ihn gebeugt.
Seine Augen waren blutunterlaufen, als er sich aufrichtete und Wu und Marie anstarrte. Er richtete seine Pistole auf sie und
drückte ab, doch es erklang nur ein Klicken. Offensichtlich hatte er das Magazin bereits geleert.
Er warf die Pistole beiseite, stieß einen unmenschlichen Schrei aus und rannte auf Wu zu. Marie erwartete, dass er sie zu
Boden werfen würde, doch die Agentin machte eine blitzschnelle Drehung und stellte dem Angreifer ein Bein. Eine halbe Sekunde
später saß sie auf seinem Rücken. Sie zerrte ihm die Arme nach hinten und fesselte sie mit Handschellen, die der Mann am Gürtel
getragen hatte. Er machte würgende Geräusche der Wut und strampelte mit den Beinen. Sie zog ihm den Gürtel ab und knotete
ihn um seine Fußgelenke. Nun konnte er nichts mehr ausrichten.
Wu war nicht einmal außer Atem geraten. Sie wandte sich an die verletzte Putzfrau. »Was haben Sie getan!«, schrie sie voller
Wut.
Die Frau sah sie mit traurigen Augen an. »Er … er hat meine Kinder … Rangar …« Blutiger Schaum erschien auf ihren Lippen.
»Die Klimaanlage!«, rief Marie.
Wu nickte. Sie rannten weiter. Nach zwei weiteren Biegungen erreichten sie eine unbeschriftete Tür. Sie war verschlossen.
»Verdammter Mist!«, rief Wu.
»Die Putzfrau!«, sagte Marie.
Sie hetzten zurück.
Der gefesselte Wachmann hatte es irgendwie geschafft, seine Beine zu befreien, und war verschwunden. Nur sein Gürtel lag noch
da.
|362| Die Frau lag immer noch mit dem Rücken an der Wand. Sie hatte ein Foto aus ihrer Handtasche geholt und hielt es in beiden
Händen. Blut troff von ihrem Kinn, und ihr Atem ging röchelnd. Sie hob ihren Blick und sah Marie an, und plötzlich tat die
Frau ihr unendlich leid. Sie war nur ein Bauer in Ondomars perfidem Schachspiel.
»Der Schlüssel!«, brüllte Wu. »Der Schlüssel für den Klimaraum!«
Die Frau nestelte in ihrer Handtasche und holte mit zitternder Hand einen Schlüssel hervor, dessen Anhänger arabisch beschriftet
war. Wu schnappte ihn sich, und sie rannten zurück.
Ein großer Schaltschrank, hinter dem sie die Steuerungselemente für die Klimaanlage vermuteten, war ebenfalls verschlossen.
»Diese verdammte Hexe!« Wu wollte aus dem Raum stürzen, doch Marie hielt sie zurück. Sie zeigte auf eine Metallklappe an der
Wand, deren Schrauben nicht festgezogen waren. Dahinter war ein lautes Rauschen zu hören. »Sie hat wahrscheinlich hier dran
rumgeschraubt. Vielleicht ein Luftfilter oder so was.«
Es gelang ihnen, die Schrauben mit den Fingern zu lösen. Sie zogen einen großen Metallkasten aus der Öffnung, der einen intensiven
Duft nach dem Pheromon verströmte.
»Es müsste reichen, wenn wir ungefilterte Luft durch die Anlage strömen lassen«,
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