Der einzige Sieg
aus dem Staub machen können. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Es blieben zwei Fragen. Einmal mußte Carl herausfinden, warum, zum anderen galt es jetzt, den Abschied von Major Åke Stålhandske beim OP 5 zu betreiben.
Carl schaltete seinen Computer ein und begann mechanisch, ein offizielles Schreiben an den Chef des OP 5, Samuel Ulfsson, zu formulieren, in dem er eine interne Untersuchung verlangte, damit man sich eine Meinung darüber bilden könne, welche disziplinarischen Maßnahmen aus Anlaß dieses schwerwiegenden Falls von Insubordination zu ergreifen seien.
Er beendete den Brief jedoch nicht. Als er fast fertig war, überflog er noch einmal, was er geschrieben hatte. Obwohl seine Worte auf dem Bildschirm nur ein paar Minuten alt waren, erkannte er sie nicht wieder. Es kam ihm vor, als hätte ein anderer sie geschrieben. Es sah aus wie ein Schreiben aus der Kanzlei des Ministerpräsidenten und nicht wie ein Brief von ihm selbst an Sam. Nach kurzem Zögern löschte er den ganzen Brief und griff zum Telefon. Er überlegte kurz, bevor er die Nummer wählte, wer den Telefonverkehr von Rosenbad eventuell abhörte und was das für Konsequenzen haben konnte. In diesem Fall jedoch im Grunde keine.
Er verzichtete trotzdem auf den Anruf und beschloß, sich statt dessen persönlich zum Generalstab zu begeben, um unter vier Augen mit Samuel Ulfsson zu sprechen. Das mußte er ohnehin tun, da sie sich nach der Operation Dragon Fire oder den »Ereignissen auf der Nordkalotte«, wie es mit den Worten des Ministerpräsidenten hieß, noch gar nicht getroffen hatten.
Er sah auf die Uhr, um zu sehen, ob er sich verspäten würde und ob er Tessie anrufen und es ihr sagen sollte.
Ihm graute davor, sie anzurufen. Er wagte es ganz einfach nicht. Sie hatte davon gesprochen, Åke und Anna so schnell wie möglich einzuladen. Und im Augenblick wußte er nicht, wie er sich vor einer solchen Einladung drücken sollte.
Außerdem hatte er schlechte Nachrichten in Form einer bevorstehenden Reise nach Moskau.
3
Rune Jansson spürte buchstäblich, wie er mit leichteren Schritten ging; es war eine gesunde Woche mit nur wenig Alkohol gewesen. Kollege Svensén war in dieser Hinsicht für die Zusammenarbeit ideal geeignet, da er in seinem Alter schon in genügend Hotels herumgesessen hatte. Vor zwanzig Jahren, so hatte er nebenbei erklärt, hätten ihn die Tanzabende schon manchmal in Versuchung gebracht. Doch das sei lange her, und jetzt könne er nicht mehr klar denken, wenn er sich am Abend zuvor abgefüllt habe.
Er spazierte den Marktplatz hinunter und ging dann bis zur Strandgatan, wo er nach links in Richtung Polizeigebäude einbog. Es war zwar nur ein Spaziergang von zehn Minuten, doch an den letzten beiden Tagen hatte ein steifer Nordwind geherrscht, der einem unten am Flußufer durch Mark und Bein ging. Heute war es windstill, zwar noch immer völlig dunkel, aber klar, und die Luft war von klirrender Kälte. Er atmete ein paar Mal tief durch; vermutlich war es der letzte Arbeitstag, bis er wieder zu den Abgasen der Hauptstadt hinunterfahren mußte. Sie waren grundsätzlich fertig. Den Mörder oder die Mörder hatten sie zwar noch nicht überführt, aber so wie die Sache jetzt aussah, schien das nur eine Zeitfrage zu sein. Jetzt war jedenfalls nichts mehr unbearbeitet bis auf die Spur, die direkt zu den Tätern führte.
Es war alles in allem eine gute Woche gewesen. Sie hatten den Widerwillen der Kollegen gegen Stockholmer und Superbullen sowie jene anderen gefühlsmäßigen Vorbehalte schnell abgebaut, die Rune Jansson aus eigener Erfahrung recht gut verstand. Sie hatten sich ganz einfach durch ihre Arbeit Vertrauen erworben, worauf die zunächst etwas sauren Finnen – sie bezeichneten die Kollegen oft scherzhaft als Finnen, was sie in mancher Hinsicht wohl auch waren – zwar nur allmählich, aber sichtlich aufzutauen begannen.
Der größere Teil des Polizeigebäudes war dunkel. Er mußte die Wache rufen, um hineinzukommen, nickte freundlich, seit kurzem entspannt freundlich, als er an dem Posten vorbeiging. Er ging zu seinem Zimmer hinauf und machte Licht.
Auf dem Schreibtisch stand jetzt eine Batterie von Aktenordnern, die ungefähr eineinhalb Meter breit war. Er strich mit der Hand zufrieden über die Rücken der Ordner. Es war eine ordentliche Ermittlung.
Sie hatten nach der gewohnten alten Methode gearbeitet und die Aufklärungsarbeit in verschiedene Abschnitte aufgeteilt. Dann hatten sie auf jeden einzelnen
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