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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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gehörte zu einem Gespenstercampus. Eine Grundschule und eine Highschool waren geschlossen worden, weil das County nicht über die Mittel verfügte, sie zu unterhalten. Die veralteten Gebäude waren mittlerweile zum Teil abgeräumt worden, ein paar Abrissmaschinen hockten noch im Schlamm.
    Die Insassen hielten den Platz eifrig in bespielbarem Zustand, zogen die Seitenlinien und die Bögen nach, stellten Eckfahnen auf und verankerten die Tore fest im Boden.
    Die Spiele stellten einen ernsthaften Zeitvertreib für die Männer dar, die meisten waren im mittleren Alter, wenige älter, zwei oder drei jünger, alle in improvisierter Mannschaftskleidung, joggend, stehend, gehend, Kniebeugen, Rumpfbeugen, außer Atem, Hände auf den Knien, auf den ramponierten Rasen starrend, der so ramponiert war wie ihr Leben.
    Je kälter die Tage wurden, desto weniger Zuschauer kamen, dann auch weniger Spieler. Ich war weiterhin dabei, pustete in die Hände, schlug die Arme um den Oberkörper. Die Mannschaften wurden von Insassen trainiert, die Spiele von Insassen gepfiffen, und diejenigen, die von den drei Reihen alter,geborstener Tribünensitze aus zuschauten, waren auch Insassen. Die Wärter standen hie und da herum, schauten zu oder auch nicht.
    Die Spiele wurden immer seltsamer. Regeln wurden erfunden, gebrochen und verkürzt, ab und zu kam es zu einer Schlägerei, das Spiel ging drumherum weiter. Ich wartete darauf, dass es einen Spieler umwarf, Herzinfarkt, epileptischer Anfall. Die Zuschauer johlten oder murrten selten. Es fühlte sich immer mehr wie ein Nirgendwo an, Männer, die in träumerischer Distanz herumliefen, Schiedsrichter, die gemeinsam an der Seitenlinie rauchten. Wir liefen über die Brücke, schauten uns ein Spiel an, liefen über die Brücke zurück.
    Ich dachte über Fußball in der Geschichte nach, der schon zu Krieg, Waffenstillstand, Pöbelrandale angestiftet hatte. Das Spiel war eine weltumspannende Leidenschaft, ein kugelförmiger Ball, Wiese oder Rasen, ganze Nationen in jubelnden oder klagenden Zuckungen. Doch was ist das für eine Sportart, die allen Spielern bis auf den Torwart den Gebrauch der Hände untersagt? Hände sind grundlegende menschliche Werkzeuge, die zugreifen und festhalten, die machen, nehmen, tragen, erschaffen. Wenn Fußball eine amerikanische Erfindung wäre, würde da nicht irgendein europäischer Intellektueller behaupten, unser von jeher puritanisches Wesen hätte uns dazu gebracht, ein Spiel zu erfinden, das auf anti-onanistischen Prinzipien beruhe?
    Das gehört zu den Dingen, über die ich nachdenke und nie zuvor nachdenken musste.
    Das Bemerkenswerte an Norman Bloch, meinem Stockbettpartner, war nicht die Kunst, die früher an seinen Wänden hing.Was mich beeindruckte, war das Verbrechen, das er begangen hatte. Es war selbst ein Kunstwerk, von der Art her konzeptuell, vom Maßstab her radikal, eine so lässige und zugleich so grenzüberschreitende Tat, dass Norman, der bereits ein Jahr hier war, noch sechs weitere im Lager, im Stockbett, in der Klinik, in den Essensschlangen und dem Kreischen der Händetrockner auf den Toiletten würde verbringen müssen.
    Norman hatte keine Steuern gezahlt. Keine vierteljährlichen wirtschaftlichen Kurzberichte und keine jährlichen Einkommenssteuererklärungen abgegeben, keine Fristverlängerungen beantragt. Keine Belege zurückdatiert, keine Fonds oder Stiftungen eingerichtet, keine geheimen Konten eröffnet oder verführerische Gesetzeslücken offshore genutzt. Er war kein politischer oder religiöser Protestler. Er war kein Nihilist, der alle Werte und Institutionen ablehnte. Er war vollkommen transparent. Er zahlte einfach nicht. Es sei eine Art Lethargie, sagte er, so wie Menschen sich darum drücken, abzuwaschen oder Betten zu machen.
    Das heiterte mich auf. Abwaschen, Bettenmachen. Er sagte, er wisse nicht genau, seit wann er schon keine Steuern mehr zahle. Als ich ihn nach seinen Finanzberatern fragte, seinen Geschäftspartnern, zuckte er die Achseln, das stellte ich mir jedenfalls vor. Ich lag auf dem oberen Bett, er auf dem unteren, zwei Männer im Pyjama, die sich die Zeit vertreiben.
    »Diese Mädchen. Ganz schön erstaunlich«, sagte er. »Und die Nachrichten, vor allem die schlechten.«
    »Dir gefallen die schlechten Nachrichten.«
    »Jedem gefallen doch die schlechten Nachrichten. Auch den Mädchen gefallen die schlechten Nachrichten.«
    Ichüberlegte, ob ich ihm sagen sollte, dass sie meine Töchter waren. Das wusste niemand hier

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