Der Esper und die Stadt
Genauso wie ich beim letztenmal hier aufgetreten war.
Die untergehende Sonne warf lange Schatten über den zerbrochenen weißen Plattenbelag. Ich drehte mich um, musterte meinen eigenen Schatten und zuckte zusammen, als neben mir der eines anderen sichtbar wurde. Als ich seitwärts schaute, sah ich einen großen, stämmigen Halbstarken. Er stand neben mir, hatte komische Klamotten an und einen dicken Prügel in der Hand. Er sah mich nicht mal an, sondern schaute anderswohin und spitzte die Lippen, als würde er einen lautlosen Pfiff ausstoßen.
Als ein kleinerer Halbstarker mit glattem, blondem Haar hinter einem Mauerrest auftauchte, zuckte ich erneut zusammen.
„Wieder da, was?“ fragte der blonde Bursche.
Ich spürte, daß sich jetzt auch die Schatten der anderen um mich versammelten.
„Ich such nach meiner Taschenuhr“, sagte ich. „Ich hab sie verloren, als ihr mich damals verhauen habt. Hört mal, es ist wirklich ’n altes Stück, und sie ist ein Andenken. Ich muß sie einfach wiederfinden.“
Ich sah zu Boden und drehte mich im Kreis. Wo ich auch hinsah, überall waren Beine. Die Burschen standen in den Eingängen der Ruinen, auf den Geröllhaufen und lehnten sich auf ihre Knüppel. Die Fahrradketten klirrten leise.
„Du scheinst wirklich ein Trottel zu sein“, sagte der Anführer und entblößte seine Zähne zu einem Lächeln, in dem es nicht eine Spur Freundlichkeit gab.
Wo steckte Carl Hodges? Das Gebiet, in dem ich mich aufhielt, war sauber. Möglicherweise hingen hier immer viele Leute rum. Die Treppen, die zu einer Kellertür runterführten, waren ebenfalls sauber; sogar die Türklinke glänzte. Schien oft benutzt zu werden. Der Anführer war als letzter gekommen, aus einer ganz anderen Richtung. Er stand auf staubigem, geröllbedecktem Untergrund, den offenbar noch nicht allzu viele Füße betreten hatten. Er war offenbar nicht den üblichen Weg gegangen, um mir entgegenzutreten. Der übliche Weg lag möglicherweise in der Richtung, in die ich jetzt schaute: Hinter der Tür, die so aussah, als würde sie oft benutzt.
Es war, als suchte ich mit der „Heiß und kalt“-Methode nach einem versteckten Gegenstand. Wenn Carl Hodges sich hinter dieser Tür befand, würden die Halbstarken verhindern, daß ich darauf zuging. Ich stellte mich ein bißchen blöd und verwirrt und machte zögernd zwei Schritte in diese Richtung. Wie ein Mann rückten sie zusammen. Kleider raschelten. Ihre Umzingelung wurde enger. Ich hielt an. Sie blieben auch stehen.
Ein Kreis bewaffneter Halbstarker hatte sich nun eng um mich geschlossen. Zwei von ihnen standen beinahe zwischen mir und den Treppenstufen. In der Ferne summte der Hubschrauber herum und umkreiste die Häuserblocks. Ich wußte, daß ich nur zu rufen brauchte – selbst ein leises Wort hätte genügt –, um die Maschine in ein paar Sekunden in der Nähe zu haben.
Der blonde Bursche bewegte sich nicht. Er lümmelte sich immer noch da herum, ließ seine Zähne blitzen und musterte mich von oben bis unten, wie ein Wissenschaftler in einem Zoo, der eine seltene Gorillaart studiert.
„Ich muß euch ’ne wichtige Sache erzählen“, sagte ich zu ihm. Aber sie hörten mir nicht zu.
„Es ist wirklich fast ’ne Schande“, sagte der blonde Bursche zu den anderen, „wie blöd er jetzt schon ist. Wenn wir ihm jetzt noch eins auf seine Gehirnwindungen geben, wird er gar nicht mehr merken, daß er je welche hatte.“
Ich sah den Anführer an und machte schnell einen weiteren Schritt in Richtung auf die Treppe und die Tür zu. Am Füßescharren der anderen merkte ich, daß hinter mir der Kreis noch enger wurde. Als ich anhielt, blieben sie auch stehen. Mir war jetzt klar, daß die Tür etwas verbarg. Sie wollten Fremde von ihr
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