Der Fälscher aus dem Jenseits
respektvollen Abstand und vor ihr lag ein kostbarer Teppich.
Aber wenn das wahr sein sollte, würde eine ganze Welt zusammenbrechen. Kunstkritiker aus aller Welt hatten sich bei der Entdeckung von Vermeers religiöser Malerei in Lobeshymnen überboten und alle Experten, einer berühmter als der andere, hatten Echtheitszertifikate ausgestellt! Er musste ein Fantast sein, eine andere Erklärung gab es dafür nicht. Ein größenwahnsinniger Kollaborateur...
Das magere Männlein stieß einen Seufzer aus.
»Wie ich sehe, glauben Sie mir nicht. Ich aber kann meine Behauptung beweisen. Stellen Sie mich auf die Probe.«
»Wie meinen Sie das?«
»Schließen Sie mich zu Hause im Atelier ein. Dann male ich Ihnen einen falschen Vermeer nach einem Thema Ihrer Wahl.«
Der Richter willigte ein und wählte als Thema Christus bei den Schriftgelehrten. Henri van Meegeren wurde in sein luxuriöses Amsterdamer Wohnhaus geführt und setzte sich unter scharfer Polizeibewachung an die Arbeit. Der Richter kam täglich, um zu sehen, wie das Gemälde vorankam. Als die Skizzen fertig waren, wurde er blass. Alles passte! Genau das war es! Van Meegeren imitierte perfekt die Malweise des Meisters aus Delft, die man für unnachahmlich gehalten hatte. Vor seinen Augen wurde ein Vermeer geboren, ein falscher Vermeer.
Er hatte es hier mit dem größten Kunstfälscher aller Zeiten zu tun, was bedeutete, dass man viele Meisterwerke, die die holländischen Museen in letzter Zeit erworben hatten und die den Ruhm des Landes ausmachten, auf den Müll werfen konnte. Henri van Meegeren, der seinen Pinsel mit größter Präzision führte, hörte ihn murmeln: »Das ist eine Katastrophe!«
Henri van Meegeren hatte sechsundfünfzig Jahre zuvor, nämlich 1889, in Deventer, einer mittelgroßen Stadt im Nordosten der Niederlande, das Licht der Welt erblickt. Schon in seiner Kindheit war er schmächtig und kränklich, besaß dafür aber eine außerordentliche künstlerische Begabung.
Er wollte Maler werden. Seine Eltern waren jedoch dagegen und sahen in ihm höchstens einen Architekten. Also studierte er Architektur, tat dies aber in Delft, der Stadt Vermeers, weil er diesen Maler schon immer bewundert hatte.
Bald gab er die Architektur auf und erhielt 1912, immer noch in Delft, eine Anstellung als Zeichenlehrer und Dozent für Kunstgeschichte. Er malte auch und erzielte mit seinen Bildern tatsächlich Erfolg. So erhielt er mehrere Preise und hätte von seiner Malerei bequem seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Doch das genügte ihm nicht. Van Meegeren war besessen von seinem Idol, Vermeer, dessen Schatten für ihn immer noch durch die Straßen der Stadt schwebte. Ihm war bewusst, wie mittelmäßig seine eigene Malerei im Vergleich zu der des Meisters war. Er wollte so gut werden wie sein Vorbild, sodass nach und nach eine Idee in ihm aufkam: Der beste Weg, Vermeer ebenbürtig zu werden, wäre, dasselbe zu machen wie der Meister, nämlich Vermeer-Bilder zu malen. Außerdem verabscheute er alle Kritiker und Kunstexperten. Diesen arroganten, eingebildeten Leuten wollte er gern eine Lehre erteilen, sie für immer lächerlich machen.
Ohne seiner Frau etwas davon zu erzählen — bis zum Schluss hatte sie keine Ahnung von der Sache —, las er alle Bücher, die über die Technik des großen Künstlers aus Delft erschienen waren. Dabei entdeckte er ein seltenes Werk: Die Technik der Ölfarben. Diese wissenschaftliche Abhandlung wandte sich zwar nicht an Maler, doch erfuhr er durch sie, wie man einem Bild das Aussehen eines alten Gemäldes verleihen konnte. Er klapperte alle Antiquitätenhändler ab, um Bilder aufzutreiben, die aus der Zeit Vermeers stammten. So kaufte er billig ein paar lausige Gemälde, die ihn nur wegen des Rahmens und der Leinwand interessierten. Zur Durchführung seines Vorhabens hielt er es für geraten, jede Verbindung zu Freunden und Bekannten abzubrechen. 1936 bezog er eine Villa in Roquebrune an der Côte d’Azur und machte sich dort an die Arbeit. In seinem Atelier, das niemand, nicht einmal seine Frau, betreten durfte, bemühte er sich, das Rezept für die alten Farben wiederzufinden. In Bezug auf die Ölsorten, insbesondere auf die früher verwendeten Blütenöle, stieß er auf große Schwierigkeiten, aber schließlich erzielte er trotzdem ein zufriedenstellendes Ergebnis.
Er fertigte sich auch Pinsel aus Dachshaar statt aus Schweinsborsten an, die denen glichen, die Vermeer benutzt hatte. Er trieb die Sorgfalt sogar so
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