Der Fall
kleiner?«
»Keine Ahnung. Sagen wir, gleich groß.«
»Jetzt weiß ich, es ist ein Typ. Mehr oder weniger Haare?«
»Weniger.« Sara lachte. »Vor allem an dieser einen Stelle am Hinterkopf, wo –«
»Jared?«
»Der und kein anderer.«
»Ach du lieber Gott! Du machst ihn doch total zur Schnecke! Kann ich mitkommen und zuschauen?«
»Mal sehen.«
»Wie ist es, ihn als Gegner zu haben? Ist es komisch? Hat er Angst?«
»Ich glaube nicht, dass er sonderlich viel Angst hat«, sagte Sara bei dem Gedanken an ihre zwei Zeuginnen.
»Das heißt wohl, er gewinnt gegen dich? Wie stehen deine Chancen? Wirst du verlieren?«
»Er gewinnt nicht gegen mich«, sagte Sara, und um das Thema zu wechseln, fügte sie hinzu: »Aber erzähl doch mal von der Schule. Wie läuft’s bei dir?«
»Super«, sagte Tiffany, als sie an der Columbia Law School vorbeikamen. »Wo gehen wir heute hin?«
»Kommt ganz darauf an. Wie lief’s in der Mathe-Prüfung?«
»Neunundachtzig Prozent.«
»Ich weiß nicht – das ist immer noch keine Eins.«
»Jetzt hör mal, Sara, du hast gesagt, wenn ich neunzig –«
»Ich weiß, was ich gesagt habe – und wenn ich mich nicht täusche, ist neunundachtzig noch immer weniger als neunzig.«
»Sara, bitte! Ich habe die ganze letzte Woche gebüffelt, um eine gute Note zu kriegen. Und mir fehlt nur noch ein lächerlicher Punkt. Ein klitzekleiner Punkt.«
»Also schön. Du brichst mir das Herz. Such dir ein Geschenk aus.«
»Können wir noch mal ins Metropolitan Museum of Art?«
»Meinetwegen gern, aber vorher würde ich eins gern wissen: Willst du tatsächlich ins Museum, oder willst du nur auf der Treppe sitzen und Gequälte-Künstler-Zählen spielen?«
»Ich möchte Gequälte-Künstler-Zählen spielen. Mit fünfzig Extrapunkten für welche mit schwarzen Baskenmützen.«
»Das hab ich mir gedacht. Such dir ein anderes Geschenk aus.«
»Wie wär’s, wenn wir zum Bowling gehen und hinterher im Sylvia’s essen?«
»Ich kann heute nicht mit dir zu Abend essen«, sagte Sara. »Ich muss mich auf meinen – Hey!« Sara blieb die Luft weg, als ein ihr entgegenkommender Mann mit voller Wucht gegen sie stieß. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber auf den Bürgersteig. Der Mann stieg stolpernd über sie weg.
Als Sara zu dem dunkelhaarigen Mann hoch blickte, sagte dieser: »Entschuldigung, das war allein mein Fehler.«
»Nicht so schlimm.« Als Sara ihre Aktentasche aufhob, fiel ihr auf, wie die hohlen Wangen des Mannes sein kantiges Gesicht akzentuierten.
»Ich muss wohl gerade in Gedanken ganz woanders gewesen sein«, erklärte der Mann und sah dabei Tiffany aufmerksam an.
»Ist schon gut.«
»Wirklich?«
»Ja«, sagte Sara. »Mir ist nichts passiert.«
Als sie und Tiffany ihren Weg in Richtung Campus fortsetzten, sagte Tiffany: »Schräg aussehender Typ, nicht?«
»Er sah tatsächlich etwas eigenartig aus«, gab ihr Sara Recht. Als sie den Riemen ihrer Handtasche auf ihrer Schulter zurechtrückte, merkte sie, dass sie sich irgendwie anders anfühlte. Sie sah in ihre Handtasche. »Dieses Schwein!«, schrie sie und wirbelte herum.
»Was ist denn?«, wollte Tiffany wissen.
»Der Kerl hat mein Portemonnaie geklaut!« So schnell sie konnte, rannte Sara die Amsterdam Avenue hinauf und bog in die 117 th Street. Der Fremde war verschwunden.
8
Als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg, fiel Jared auf, dass das zerbrochene Glas weggefegt und das Bild mit den Sonnenblumen neu gerahmt war. Der Einbruch lag inzwischen zwei Tage zurück, aber das Knirschen von zerbrochenem Glas ließ Jared immer noch zusammenzucken. Am Ende der Treppe fragte er sich, wie jemand auf die Idee hatte kommen können, zuerst ein Bild im Flur zu zertrümmern. Das ist doch vollkommen hirnrissig, dachte er. Es bringt absolut nichts – bis auf die Lust an sinnloser Zerstörung. Und plötzlich wurde ihm alles klar. Für Kozlow war alles nur ein Spiel.
Während Jared noch versuchte, sich nicht mehr weiter vorzustellen, wie Kozlow den alten Bilderrahmen zertrümmerte, hörte er die Haustür im Erdgeschoss zuschlagen. Jemand anders war ins Haus gekommen. Sara? Nein, dafür waren die Schritte zu schwer. Statt einen Blick über das Geländer zu werfen, begann Jared hastig nach dem Wohnungsschlüssel zu suchen. Als er zu diesem Zweck seine Aktentasche abstellte, konnte er hinter sich bereits jemanden die Treppe heraufstapfen hören. Mit zitternden Händen öffnete er das obere Türschloss. Unteres Schloss,
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