Der FC Bayern und seine Juden
zum Kanzler ernannt worden. Mit Vertretern der NSDAP, der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), des Stahlhelms und mit Parteilosen bildet er ein »Kabinett der nationalen Erhebung«. Zwei Tage später wird der Reichstag aufgelöst. Nun überschlagen sich die Ereignisse – in der Politik wie im Fußball.
Am 27. Februar 1933 brennt in Berlin der Reichstag. Das neue Regime lässt kurz darauf Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Linke verhaften, darunter auch den späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Mit der »Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat« (auch »Reichstagsbrandverordnung« genannt) werden die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt.
Einen Tag später, am 28. Februar 1933, beginnt das Regime damit, die Büros der kommunistischen Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (KG) zu schließen. Die kommunistische Sportbewegung zählt zu diesem Zeitpunkt ca. 200.000 Mitglieder in ca. 4.000 Vereinen. Bis Ende April 1933 wird die Tätigkeit sowohl der KG wie auch des SPD-nahen Arbeiter Turn- und Sportbundes (ATSB) mit seinen 738.048 Mitgliedern (in 6.886 Vereinen) offiziell verboten. Zahlreiche linke Sportfunktionäre werden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt – so auch Paul Zobel, Mitglied der KPD-Reichsleitung, KPD-Abgeordneter im preußischen Landtag und ein bekannter Fußballspieler. Vor der Spaltung der Arbeitersportbewegung hatte er im ATSB die Fußballsparte aufgebaut. Zobel wird im Juli 1944 im KZ Dachau zu Tode gefoltert. An den Fußballer und Widerstandskämpfer erinnert heute noch der Paul-Zobel-Sportplatz des VfB Einheit Pankow (»Einheit« wurde 1951 hinzugefügt) – also des Stammvereins von Franz John und der Gebrüder Gus und Fred Manning.
Haringer und Rohr treffen beim Länderspiel
Bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 holt die NSDAP in München 176.490 Stimmen und wird damit stärkste Partei. Für die Bayerische Volkspartei (BVP) werden 102.497 Stimmen abgegeben, für die SPD 96.284 und die KPD 55.483. Angesichts zahlloser Repressalien, Verhaftungen und Übergriffe können diese Wahlen nicht mehr als »frei« bezeichnet werden.
Bereits vier Tage später beginnt die Entmachtung und Gleichschaltung der bisherigen bayerischen Regierung mit der Einsetzung des ehemaligen Freikorpsführers General Ritter von Epp als Reichskommissar durch Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Seine polizeistaatlichen Vollmachten nutzt Epp umgehend zur Ernennung Ernst Röhms zum »Staatskommissar zur besonderen Verwendung« und Heinrich Himmlers zum kommissarischen Leiter der Polizeidirektion München. In der Folge setzt Epp jedem Ministerium einen Kommissar an die Spitze. Der auf kaltem Wege entmachteten bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Heinrich Held (BVP) bleibt am 16. März nur der Rücktritt.
Am 19. März 1933 bestreitet die deutsche Nationalmannschaft in Berlin gegen Frankreich ihr erstes Länderspiel nach den Reichstagswahlen. Der französische FIFA-Präsident Jules Rimet überlegt zunächst, die Équipe Tricolore angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland daheim zu lassen. Aber sein deutscher Generalsekretär Ivo Schricker rät davon ab. Schricker, ein alter Weggefährte Walther Bensemanns, befürchtet, eine politische Isolierung Deutschlands zu diesen Zeitpunkt könnte die innenpolitischen Verhältnisse dort nur verschlimmern.
Vom FC Bayern sind in Berlin Sigmund Haringer und Oskar Rohr dabei. Vom Lokalrivalen TSV 1860 Ludwig Lachner, der seine Karriere bei der Freien Turnerschaft (FT) Gern begonnen hatte, die dem sozialdemokratischen Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) angehörte. (Die FT Gern ist auch der Stammverein des aktuellen Bayern-Nationalspielers Philipp Lahm. Mutter Daniela Lahm ist seit vielen Jahren Jugendleiterin des Vereins, für den auch schon der Vater und Großvater des Bayern-Stars gespielt haben.)
In Berlin trennen sich Deutsche und Franzosen 3:3. Die Tore schießen die Münchner: Rohr trifft zweimal, Lachner einmal. DFB-Boss Felix Linnemann gibt sich am Rande des Länderspiels überzeugt, »dass der Kampf gegen den Bolschewismus nicht nur ein Frühling Deutschlands sei, sondern sich später als ein Frühling für alle westlichen Kulturnationen erweisen werde«.
»Rücktritte«
Am 20. März 1933 weicht Münchens Oberbürgermeister Karl Scharnagl der Gewalt und erklärt seinen Rücktritt. Sein Nachfolger wird der NSDAP-Mann Karl Fiehler.
Zwei Tage später, am 22. März, sieht sich
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