Der Flirt
Eine leichte Aufgabe«, sagte Henry. »Alles, was du dazu brauchst, ist eine Times und ein teurer Kugelschreiber. Der Kugelschreiber ist sehr wichtig«, fügte er hinzu und warf Hughie einen strengen Blick zu. »Ein normaler Kugelschreiber geht gar nicht. Es muss ein teurer, sehr edler Kugelschreiber sein. Wie der hier.« Er nahm einen dicken schwarzen Mont-Blanc-Kugelschreiber heraus. »Aber nichts Protziges, auf keinen Fall. Keine Diamanten oder, Gott bewahre, Halbedelsteine … nur ein solide gefertigter, schöner Kugelschreiber, der zeigt, dass du sowohl Geschmack als auch Mittel besitzt. Verstanden?«
»Verstanden.«
»Die richtigen Requisiten, junger Smythe, trennen die Männer von den Jungen. Heute kannst du den hier benutzen. Also, die Voraussetzungen sind einfach, alles, was erforderlich ist, ist, dass du aussiehst wie ein Genie …«
Die arme Amber Marks verließ jeden Tag zur selben Zeit das Haus.
Ihrer Mutter erzählte sie, sie würde in die Bibliothek gehen und lernen, doch in Wirklichkeit vertrieb sie sich die Zeit damit, die King’s Road auf und ab zu spazieren und im Oriel, dem Café an der Ecke Sloane Square, Tee zu trinken und Zola im französischen Original zu lesen. Nicht dass sie Zola besonders gemocht hätte, doch sie hatte das Gefühl, es verleihe ihr eine kluge, komplizierte und interessante Aura. Und all das wollte die arme Amber Marks unbedingt sein.
In Wirklichkeit wusste sie nicht mehr, wer oder was sie sein sollte oder wollte. Nicht seit »dem Vorfall« vor über drei Monaten. Es war in ihrem ersten Jahr als Studentin der Sprachen in Oxford passiert. Am Anfang war sie ganz gut zurechtgekommen. Freunde zu finden stellte sich als schwierig heraus, und die Lehrveranstaltungen waren eindeutig eine Herausforderung, doch sie behauptete sich. Aber allmählich wurde alles schlimmer. Die Erwartungen wuchsen. Der Wettbewerb wurde härter. Amber konnte vor Sorgen nicht mehr schlafen. Immer öfter verbrachte sie ihre Zeit allein. Dann fingen die handfesten Panikattacken an und die häufig auftretenden Weinkrämpfe, Tag und Nacht. Schließlich rief das College ihre Eltern an.
Ihre Mutter bezeichnete es als »leichtes Flattern«, ihr Vater nannte es eine »akademische Pause«. Doch sie alle wussten, dass es viel mehr war als das. Amber kam mit den strengen Anforderungen von Oxford nicht zurecht, bloß mochte niemand dies laut aussprechen. Es hatte ihren Eltern so viel bedeutet, dass sie dort angenommen worden war. Sie hatten große Pläne für sie − Medizin, Jura, Verlagswesen; anscheinend gab es nichts, was sie nicht konnte.
Außer, ihre Ausbildung zu überleben.
»Die arme Amber«, seufzte ihre Mutter laut und oft, wenn sie allein waren. »Sie hat das Vertrauen in sich verloren.«
»Ja, die arme Amber«, stimmte Ambers Vater ihr zu. »Aber was will man machen?«
Amber wählte einen Fensterplatz, von dem aus sie den Sloane Square überblicken konnte, und bestellte eine Tasse Tee. Sie rührte ein Tütchen Zucker hinein und schaute auf die vorbeigehenden Fußgänger. Sie wirkten alle so tüchtig. Wie viele von ihnen hatten die Universität mit Auszeichnung abgeschlossen?
Ein junger Mann kam herein und setzte sich an den
Nebentisch. Amber konnte nicht anders, als zu bemerken, wie gut er aussah, groß, strubbeliges blondes Haar, Sommersprossen und zwei auffallend blaue Augen. Er konnte nicht viel älter sein als sie. Sie versteckte sich hinter ihrem Buch. Er bestellte einen Kaffee und nahm einen Kugelschreiber und eine Times heraus, die er beim Kreuzworträtsel aufschlug. Sie sah ihm dabei zu, wie er es bemerkenswert schnell ausfüllte.
Sie war fasziniert. Er musste unglaublich klug sein!
Dann runzelte er die Stirn. Als er sich die Haare ungeduldig aus dem Gesicht strich, fiel der Kugelschreiber zu Boden und rollte ihr vor die Füße.
»Oh! Tut mir leid!«, sagte er.
Sie bückte sich, um ihn aufzuheben. Es war kein gewöhnlicher Kugelschreiber, sondern ein schweres, glattes, elegantes Schreibgerät, das angenehm in der Hand lag. Der Kugelschreiber von jemandem, der es in dieser Welt zu etwas gebracht hatte, der dies aber weder hinausschreien noch verstecken musste.
Sie gab ihn ihm zurück. »Bitteschön.«
»Danke!« Er lächelte.
»Keine Ursache«, sagte sie leise und nahm ihr Buch.
»Schauen Sie, ich weiß, dass das vielleicht ein bisschen unverschämt ist, aber hier ist ein Wort, das ich einfach nicht rauskriege. Würde es Ihnen etwas ausmachen, einen Blick darauf zu werfen?
Weitere Kostenlose Bücher