Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Sonnenwendfeier bestimmen würden.«
Die Türklinke wurde heruntergedrückt. Dakar wandte sich gerade zur rechten Zeit um, zu sehen, wie Halliron, von einem Einkaufsbummel zurück, mit einem Päckchen unter dem Arm das Zimmer betrat. »Wißt Ihr«, gestattete der Wahnsinnige Prophet sich zu bemerken, »dieses Fest, das der Statthalter um Euer Erscheinen herum veranstaltet, hat in den Salons der Damen schon eine Menge Gezänk verursacht.«
»Meinetwegen können sie an ihren Schmuckbändern und Perlen ersticken«, knurrte Halliron wenig liebenswürdig.
Den Kopf zur Seite geneigt, lauschte er kritisch Medlirs Spiel mit den Saiten der Lyranthe. Selbst sein exaktes Gehör konnte auf diese Darbietung nur mit Zufriedenheit reagieren. Ein Schauder befiel Halliron, als die Melodie ganz flüssig von Septimen zu Quinten überging. Er hatte von jeher vermutet, daß sein erwählter Nachfolger begabt genug wäre, selbst ihn in den Schatten zu stellen. Nun aber, da er tatsächlich hörte, wie die fehlerlosen, geübten Noten sich zu einer gefühlvollen Lyrik steigerten, mit der sich all sein Können nicht messen konnte, war er sprachlos vor Freude. Nun gab es nur noch eines, das er in dieser Welt begehrte: die Wiedervereinigung mit der ihm fremdgewordenen Frau und seiner Tochter.
Noch sieben Tage bis zur Sonnenwende. Dann endlich würde er frei sein, seine Reise nach Shand fortzusetzen, die er unterbrochen hatte.
»Hört mal«, nörgelte Dakar. »Falls das, was ich in dem Päckchen rieche, tatsächlich Wurst ist, warum essen wir dann nicht? Würde ich es Euch überlassen, die Zeiten für die Mahlzeiten festzulegen, dann wären wir längst zum Klang der Arpeggios in sämtlichen acht Notenschlüsseln verhungert.«
Solchermaßen gewaltsam wieder an weltliche Belange erinnert, bahnte sich Halliron einen Weg durch das Durcheinander aus Zinnflöten, Silberdrahtspulen und kleinen Klammern, die dazu dienten, die Lyranthe zu stimmen, durch die verblaßten Schriftrollen, die Medlir aus einem Müllbehälter geborgen hatte, und durch eselsohrige Bögen Reispapier, auf denen in krakeliger Schrift die verschiedenen Variationen alter Balladen notiert waren. Mit dem Ellbogen schob er ein Tintenfaß und eine Ahle beiseite und ließ sein Päckchen auf den Tisch fallen, den sie an jenem Tag, an dem die Teekanne einmal zu oft umgekippt war, aus Abfallholz zusammengenagelt hatten. Den wackeligen Tisch, der sich zuvor in dem Raum befunden hatte, hatten sie benutzt, um das Feuer in ihrem Kamin zu nähren. Zwar bewies Hallirons Schüler in handwerklichen Belangen einen Stil, der eher auf Deck eines Schiffes gepaßt hätte, doch zumindest war das Ergebnis seiner Arbeit stabil. Selbst wenn Dakar seinem steten Drang nachgab, sich in Raubvogelmanier als erster auf das Essen zu stürzen, hielt der Tisch stand, ohne daß etwas umkippte oder herunterfiel. Halliron ließ sich auf das verbliebene Kniekissen nieder, ehe er die Arbeit des Musikers mit gebührenden Worten würdigte: »Du brauchst meine Instruktionen nicht länger.«
Medlir beendete den Lauf des letzten Arpeggios und brachte die Saiten sodann geschickt zum Schweigen. »Ich bin noch nicht gewillt, ohne sie auszukommen.« Mit einem Anflug von Humor fuhr er fort: »Es gibt eine Ballade, die zu spielen du mich noch nicht gelehrt hast.«
»Das weißt du?« Mit großer Sorgfalt dehnte und streckte Halliron seine Finger, um sie geschmeidig zu erhalten. »Was für eine Schande, daß du nicht an meiner Stelle für den Statthalter von Jaelot spielen wirst.« Er bedachte seinen Schüler mit einem stechenden Blick, ehe er die Schultern zuckte. Selbst im Hochsommer herrschte in Jaelot, dank der Brise, die von der Bucht herüberwehte, ein feuchtes, kühles Klima, das den Gelenken des Meisterbarden übel mitspielte. »Was wird in den Baracken geredet?«
Leder entlockte den gespannten Saiten ein Wimmern, als Medlir das unbezahlbare Instrument wieder verhüllte. »Ein Skandal steht bevor. Es geht um die Bezahlung der Söldner.«
»Nein!« Mit bösartigem Vergnügen schlug sich Halliron auf die Oberschenkel, wobei er eine bruchstückhafte Melodie pfiff. »Sag es mir nicht! Der städtische Quästor hat das Geld veruntreut?«
»Besser.« Medlir legte die Lyranthe vorsichtig in einer Ecke des Raumes ab und grinste. »Es heißt, er habe eine Rubinkette seiner Schwägerin verkauft, um eine Kräuterhexe anzuheuern. Mit ihrer Hilfe wollte er verschleiern, wie die Steuergelder aus der städtischen Schatzkammer in die
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