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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Gleichmütig ließ er sich durch die warmen Strömungen des Tages treiben. In der darauffolgenden Nacht schlief er tief und traumlos, und am nächsten Tag ritt er abgebrüht und unbekümmert weiter. Halbschlaf hatte ihn in seinem Bann. Unbewußt durchwanderte er eine geistige Wildnis; er schwebte in Gefahr, ohne es zu ahnen. Trägheit bedeutete für ihn den ersten Schritt einer unausweichlichen Logik nach den Gesetzmäßigkeiten der Lepra; der nächste Schritt hieß Gangrän, fauliges lebendes Fleisch von so gräßlichem Gestank, daß selbst manche Ärzte ihn nicht zu ertragen vermochten – einem Pesthauch, der das Ausstoßen von Leprakranken in einem Maße zu rechtfertigen schien, dem kein bloßes Mitleid oder Vorurteilslosigkeit entgegenwirken konnten. Aber Covenant durchlebte seinen Traum mit dem Verstand voller Schlaf. Als er sich langsam von seinem dösigen Zustand zu erholen begann – am frühen Nachmittag des dritten Tages nach dem Verlassen des zerstörten Holzheims Hocherhaben, dem achtzehnten Tag nach dem Abmarsch des Aufgebots von der Herrenhöh –, blickte er auf einmal über den Wald von Morinmoss aus. Das Aufgebot befand sich auf der Kuppe des letzten Hügels, bevor das Land unter die dunkle Herrschaft von Bäumen geriet.
    Morinmoss lag zu Füßen des Hügels wie ein Meer, das an die Küste rollt; seine Ränder waren in die Hänge gezahnt, als hätten die Bäume ihre Wurzeln in die Steigungen gekrallt und verweigerten seither den Rückzug. Das dunkle, verschieden getönte Grün des Waldes erstreckte sich nach Norden, Osten und Süden bis zum Horizont. Er sah trotzig aus; es schien, als wolle er dem Aufgebot die Durchquerung verbieten. Hoch-Lord Prothall zügelte sein Pferd auf der Hügelkuppe und hielt für lange Zeit über den Wald Ausschau, wog die Zeitspanne, die es erfordern würde, Morinmoss zu umgehen, gegen die schemenhaften Gefahren zwischen den Bäumen ab. Schließlich stieg er ab. Er musterte die Reiter, und als er sich an sie wandte, zeugten seine Augen von drohendem Zorn.
    »Wir werden nun rasten. Dann werden wir hinein nach Morinmoss reiten und nicht halten, bis wir die andere Seite erreicht haben – ein Ritt von fast einem Tag und einer Nacht Dauer. Während des Ritts dürfen wir keine Klinge und keinen Funken zeigen. Vernehmt ihr mich? Alle Schwerter in die Scheiden, alle Pfeile in die Köcher, alle Messer bedeckt, alle Speerspitzen umhüllt. Und jeder noch so geringfügige Funke oder Schimmer von Feuer ist zu vermeiden. Ich wünsche keine Fehler zu erleben. Morinmoss ist wilder als Grimmerdhore – und niemand betritt jenen Wald ohne Zagen. Für undenkliche Zeiten haben die Bäume leiden müssen, und sie vergessen nicht ihre Verwandtschaft mit der Würgerkluft. Hofft, daß sie uns nicht ungeachtet unserer Rücksichtnahme zermalmen.« Er ließ seinen Blick aufmerksam über die Truppe schweifen, bis er sicher war, daß jeder ihn begriffen hatte. »Es ist möglich«, ergänzte er dann nachsichtiger, »daß es in Morinmoss noch einen Forsthüter gibt ... obwohl diese Kenntnisse seit der Schändung verlorengegangen sind.«
    Mehrere Krieger nahmen bei dem Wort ›Forsthüter‹ eine angespannte Haltung ein. Aber Covenant, der langsam aus seinem Dösen wiederkehrte, verspürte nichts von der Ehrfurcht, die man anscheinend von allen Beteiligten erwartete. »Betet ihr Bäume an?« erkundigte er sich, ähnlich wie schon einmal.
    »Anbeten?« Prothall stutzte. »Das Wort ist mir unklar.« Covenant starrte ihn an. »Fragst du, ob wir die Bäume in Ehren halten?« meinte der Hoch-Lord einen Augenblick später. »Natürlich. Sie leben, und in allem Leben wohnt Erdkraft, in allen Steinen, dem Erdreich, in Wasser und Holz. Sicherlich ersiehst du, daß wir die Diener dieser Kraft sind. Wir umsorgen das Leben des Landes.« Er schaute nochmals über den Wald aus, ehe er weitersprach. »Die Erdkraft nimmt zwischen Holz und Stein noch vielerlei andere Gestalt an. Stein versieht die Welt mit ihren Grundfesten, und nach unserem besten Wissen – so unbedeutend es ist – hat diese Gestalt der Kraft von sich selbst keine Kenntnis. Aber Holz ist anders. Einstmals, in der trübsten, vergessensten Ferne der Vergangenheit, bestand nahezu das ganze Land aus dem Einholzwald – einem ungeheuren Wald, der von Trothgard und Melenkurion Himmelswehr bis zur Sarangrave-Senke und der Wasserkante reichte. Und der Wald besaß eine Seele. Er erkannte und hieß das neue Leben willkommen, das Menschen ins Land brachten. Er

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