Der Flug des Falken
viele Kämpfe miterlebt, in denen ein bereits tödlich verwundeter Kontrahent es noch geschafft hatte, seinen Gegner mit ins Grab zu reißen.
Wieder klirrte Stahl auf Stahl, als Aleks den Angriff problemlos blockierte. »Du denkst also, ich hätte Mitleid mit dir gehabt?«
Jetzt war sie es, die die Stirn runzelte. Und dann silberhell lachte. »Ich weiß, wie sehr du die Rittergeschichten aus Europa und Japan gemocht hast, damals, als wir Kinder waren. Die Legenden von mittelalterlicher Ritterlichkeit und Bushido vernebeln noch immer dein Denken - obwohl du genau wie ich weißt, dass beide zum größten Teil Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts waren.«
Er lachte nur. »Ganz egal, wann sie erfunden wurden, diese Geschichten sagen mir schon etwas«, gab er zu. Er umkreiste sie mit weiten Schritten und zwang sie dadurch, sich schneller zu bewegen als er selbst, um ihn im Auge zu behalten. Seine Hände hielt er ausgestreckt, ungefähr auf Nabelhöhe. Die linke Hand etwas höher und offen, die rechte mit dem Messer um ein Weniges näher am Körper.
»Sie passen so wunderbar in die Vision der Ke-renskys: von der Pflicht eines Kriegers, die Schwachen zu beschützen und für sie zu sorgen. Und schließlich ist das der Motor, der unseren großen Kreuzzug antreibt: die primitiven Völker der Inneren
Sphäre vor sich selbst und der Selbstsucht und Bösartigkeit ihrer Fürsten zu retten. Passen die Geschichten von edlen Rittern und ehrenhaften Samurai nicht besser zu unserem Wesen als die Mongolen, die es dir so angetan haben?«
Wieder tauschten sie eine Serie blitzschneller Angriffe aus. Der Stahl klirrte wie Musik. Keiner von ihnen erzielte einen Treffer.
»Die Mongolen haben gegen große Übermächte gesiegt«, erwiderte sie. Sie war in einer Lage, die einem Angriff bergauf ähnelte. Er war stärker als sie, und was erheblich wichtiger war, er hatte die größere Reichweite. Daher musste sie entweder von außen vorstoßen und ihn mit mehreren Verletzungen ausbluten, bis seine Reaktionsfähigkeit nachließ, um eine Chance auf den Sieg zu haben, oder durch seine Abwehr brechen und aus nächster Nähe angreifen.
Aleks' Erwähnung der Mongolen hatte eine zweifache Bedeutung: In jüngeren Jahren hatte sich innerhalb der Jadefalken-Kriegerkaste eine Fraktion gebildet, die diesen Namen angenommen hatte. Sie vertrat die ketzerische Meinung: Wäre Nicholas Kerensky so perfekt gewesen, wie es die Clanlehre behauptete, dann hätten die Clans bereits vor zweiundachtzig Jahren Terra eingenommen. Da sich der Gründer beim Entwurf der Clans großzügig bei den Mongolenhorden des antiken Terra bedient hatte, verlangte diese Bewegung, auch die übrigen Aspekte der Mongolenkriegsführung zu übernehmen: die totale, rücksichtslose Unterwerfung des Gegners, ganz gleich wie brutal oder >ehrlos< die dazu notwendigen Methoden auch waren - alles natürlich im Dienste der Vision des Gründers.
In den Jahren seit der Geschko hatten sich die Wege der Kogeschwister nicht nur räumlich geteilt. Malvina war die führende Verfechterin der Mongolenposition und hatte ihren Ansichten zum Trotz den Status einer Kometin erlangt, ebenso wie Aleksandr, der die entgegengesetzte Meinung vertrat. Auf sie konzentrierten sich die Hoffnungen der Mongolen unter den Falken, aber auch bei den übrigen Clans, die ihre Herrschaftsgebiete in der Inneren Sphäre noch immer als Besatzungszonen verstanden: die Höllenrösser und sogar Clan Wolf, den Erbfeind der Jadefalken, den sie mehr als alle anderen hasste.
Die Kogeschwister hatten diesen Konflikt mit dem instinktiven gegenseitigen Verständnis, das sie als verängstigte Kinder allein gegen den Rest der Ge-schko und das übrige Universum entwickelt hatten, einfach ausgeklammert, als sie sich unter den Augen von Bec Malthus und Khanin Jana Pryde wiederbegegnet waren, um die Rückkehr der Jadefalken in die Innere Sphäre zu planen. Aleks jedoch war klar, dass sich ein Aufeinanderprallen ihrer Visionen mit derselben Geschwindigkeit näherte wie die erste wirkliche planetare Invasion. Und zumindest er war von dieser Aussicht keineswegs begeistert.
»Doch ihre Taktiken waren so effektiv, dass ihre Gegner sie für weitaus mächtiger hielten, als sie tatsächlich waren«, fuhr Malvina fort. Ihr Ton wirkte
gelassen und nüchtern. Sie atmete normal. So wie er.
Auch Malvina Hazen hatte ihre Vorteile. Aleksandr war zwar erstaunlich flink für einen Mann seiner Größe, aber sie war um ebenso viel schneller, wie er
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