Der Frauenjäger
der Kinder, wischte auch dort mal durch die Dusche und das Waschbecken. Unten klingelte schon wieder das Telefon. Diesmal war es Werner.
«Das ist aber lieb, dass du dich meldest», begrüßte sie ihn. «Wir haben so lange nichts mehr voneinander gehört.»
«Gehe ich dir auf die Nerven, wenn ich wissen möchte, ob du gut geschlafen hast?», wollte er wissen.
«Ich habe geschlafen wie ein Engelchen auf Wolke sieben», versicherte sie. «Ohne Tablette, wenn du darauf hinauswillst. Und wenn du wissen möchtest, was ich den Tag über vorhabe: Ich werde gleich zu Annette fahren und mir anhören, was eine Aushilfe in einer Buchhandlung zu tun hat. Danach gehe ich mit Ulla essen. Anschließend kaufe ich ihr ein Auto. Wann ich wieder hier bin, kann ich dir nicht sagen. Das hängt davon ab, wie schnell wir etwas Passendes finden.»
«Das klingt nach einem vollen Terminkalender», scherzte Werner. Wie zuvor bei Ulla klang der Humor aufgesetzt und nach schlechtem Schauspieler.
Kurz darauf machte sie sich auf den Weg zum Einkaufscenter. Doch statt über den Aufgabenbereich einer Aushilfe im Buchhandel unterhielt sie sich mit Annette über Josch Thalmanns merkwürdige Reaktion. Annette hatte gestern noch ein paarmal in Düsseldorf angerufen und den Schwager und Lebensgefährten von Heidrun Merz gegen sieben Uhr endlich an die Strippe bekommen. Sie hatte sich nach dem Termin für die Beisetzung erkundigt und erfahren, dass Heidrun Merz in aller Stille und im engsten Familienkreis bestattet werden sollte.In einem Friedwald, deshalb brauchte auch niemand Blumen zu schicken.
Natürlich hatte Annette es dabei nicht bewenden lassen, sondern ihrer Meinung nach sehr geschickt und diplomatisch einen verleumderischen Journalisten namens Fischer ins Gespräch gebracht. Der Einfachheit halber hatte Annette behauptet, Fischer sei gestern Vormittag bei ihr vorstellig geworden und habe ihr all das erzählt, was Marlene von ihm erfahren hatte.
«Was glaubst du wohl, hat Josch dazu gesagt?», fragte Annette und schickte die Antwort wie so oft gleich hinterher. «Nichts. Er hat einfach aufgelegt.» Für sie war das ein Beweis, dass Fischer die Wahrheit gesagt hatte, aber daran hatte sie ja auch vorher nicht gezweifelt.
Marlene blieb bis Viertel nach eins in der Bücherstube und betätigte sich einige Minuten lang als Aushilfe, weil Annette dringend zur Toilette musste. Es war aber nichts zu tun in der Zeit. Dann fuhr sie zu Scheidweber & Co und holte Ulla ab. Um zwanzig vor zwei gaben sie beim Chinesen ihre Bestellungen auf und ließen es sich kurz darauf schmecken.
Anschließend ging es weiter zum Autohaus Hilscher, wo Ulla gelernt und jahrelang gearbeitet hatte. Sich in einem anderen Autohaus oder bei einem Gebrauchtwagenhändler umzusehen wäre ihr wie ein Frevel vorgekommen. Sie hatte am Vormittag schon mit einem ehemaligen Kollegen telefoniert und ihren Besuch angekündigt. Müller hieß der Mann.
«Er meinte, er hätte genau das Richtige für mich», sagte Ulla. «Einen Agila, geräumig und potthässlich, fünf Jahre alt, aber noch keine zwanzigtausend gelaufen, Garagenfahrzeug, hat einer älteren Frau gehört.»
Herr Müller befand sich noch im Gespräch mit einem Kunden, als sie eintrafen. Ulla winkte ihm kurz zu und dirigierte Marlene in einen Wartebereich mit einem Getränkeautomaten und zwei kleinen Tischen, auf denen Schalen mitBonbons standen. Kleine, bunte Zuckerstücke, von Cellophan umhüllt.
Ulla wirkte ziemlich aufgekratzt, fast schon überdreht, griff zu, steckte sich eine Handvoll Bonbons in die Manteltasche und eins in den Mund, hielt Marlene die Schale hin und forderte: «Nimm dir auch welche, die sind lecker. Die gab es hier schon, als ich noch hinten an der Annahme saß. Magst du auch einen Kaffee?»
«Nein», sagte Marlene und steckte drei Bonbons in ihre Jackentasche, ein grünes, ein braunes und ein gelbes.
Ehe Herr Müller Zeit für sie fand, klingelte Ullas Handy. Sie warf einen Blick auf die Nummer des Anrufers, die im Display erschien, lächelte kurz, sagte zu Marlene: «Andreas», und nahm das Gespräch an. Schon ihrer Reaktion konnte Marlene entnehmen, dass es kein schöner Anlass war, der Andreas dazu brachte, sich nach wenigen Tagen wieder zu melden.
«Ach, du meine Güte», sagte Ulla, hörte zu, fragte: «Wo bist du denn jetzt?», hörte wieder zu, diesmal etwas länger, und erklärte: «Das geht nicht, wirklich nicht. Aber vielleicht gibt’s eine andere Möglichkeit. Ich kläre das ab und rufe
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