Der fremde Sohn (German Edition)
wieder das Verlangen nach einer Zigarette verspürte. Sie hielt sich nur noch mit Rauchen aufrecht, von einer Zigarette zur nächsten. »Sie wollten mit mir über das reden, was passiert ist.«
»Das möchte ich auch«, erwiderte Carrie. »Aber lass uns zuerst zu mir nach Hause fahren«, fügte sie hinzu und drehte sich ganz zu Dayna um.
Nichts als Trauer, dachte Dayna, als sie in Carries Gesicht blickte. Das Gleiche, was sie jeden Tag im Spiegel sah.
Wenig später waren sie an ihrem Ziel angelangt. Das Erste, was Dayna in den Sinn kam, war die Tatsache, dass Max niemals von diesem Haus gesprochen oder sie hierher mitgenommen hatte.
Mit offenem Mund sah sich Dayna ungläubig um. Der pure Luxus. Und das hier war nur die Garage.
Im Untergeschoss drückte Carrie auf die Tasten einer Fernbedienung und gab einen Code auf einem Tastenfeld ein, dann stiegen sie eine weiße Treppe im Inneren des Hauses hinauf. Die Stufen bestanden aus einem glatten, glänzenden Material, wie Dayna es noch nie gesehen hatte. Fast wie weißes Glas, dachte sie und wagte kaum, daraufzutreten.
»Hier entlang«, sagte Carrie, und Dayna fühlte den sanften Druck einer Hand im Rücken – es war diese andere Frau, Leah. Wahrscheinlich eine Bedienstete oder so.
»Wow!«, platzte Dayna heraus, als sie in die riesige weiße Eingangshalle traten, von wo eine weitere Wendeltreppe nach oben führte. Alles hier bestand aus weißem Marmor oder einem ähnlichen Stein, und auf den seltsam geformten Möbeln standen große Vasen voller leuchtend bunter, makelloser Blumen. Wahrscheinlich künstlich, dachte Dayna. Laut sagte sie: »Hier sieht’s total anders aus als bei mir zu Hause.«
Mit einem schwachen Lächeln zog sich Carrie die Jacke aus und hängte sie über einen kunstvoll gedrechselten Knauf am Ende des Treppengeländers.
»Max hat mir von alldem hier nie was erzählt.«
»Deswegen wollte ich mit dir sprechen, Dayna. Um etwas … zu erfahren, über dich und Max. Er hat dich auch nie erwähnt, aber ich habe den Eindruck, dass ihr eng befreundet wart.«
Sie standen jetzt in der Küche, diesem Musterbeispiel strenger Nüchternheit und Reinlichkeit mit Hochglanzschränken und Arbeitsplatten aus poliertem Granit. Beim Anblick des makellos sauberen Raumes musste Dayna an die Küche zu Hause denken – das krasse Gegenteil. Bei ihr roch es meist im ganzen Haus nach dem Bratfett von Kevs Pommes, und Dayna wusste, dass sogar die Zimmerdecken von einer Fettschicht überzogen waren. Denn einmal hatte sie mit Lorrell herumgealbert und dabei ihr Kaugummi hochgeworfen. Es war an der Decke kleben geblieben, und als Dayna auf einen Stuhl stieg und es abzog, hatte sie anschließend einen orange-grünen Schmutzfilm an den Fingern. Ihre Mutter hielt nicht viel vom Saubermachen.
»Max war ein guter Freund.« Plötzlich wurde Dayna schwindlig, und sie überlegte, ob sie sich nicht lieber hinsetzen sollte. Es gab ein paar Hocker mit glänzenden Beinen, die aussahen, als würden sie unter der geringsten Belastung zusammenbrechen. Daher hielt sie sich lieber am Tresen fest, zog die Hand aber sofort zurück, weil sie fürchtete, Abdrücke zu hinterlassen.
»Wart ihr zusammen?«, fragte Carrie und hob den Deckel von einem Wasserkessel. So einen hatte Dayna noch nie gesehen. Ihrer zu Hause war so ein altes Pfeifding, das auf dem Gasherd stand. Der hier wirkte wie ein Teil aus einem Raumschiff.
Dayna zuckte die Achseln. »Denk’ schon.« Sie glaubte Carrie leise seufzen zu hören, sei es, weil ihr das Teekochen in ihrer derzeitigen Verfassung zu anstrengend war – Leah musste ihr diese Aufgabe abnehmen – oder weil sie enttäuscht war, was für eine Freundin sich ihr Sohn ausgesucht hatte. Dayna hatte schon erkannt, dass sie in Carries Augen gar nicht gut abschnitt. Hier kam sie sich schmutzig vor, und sie fragte sich, ob sich auch Max so gefühlt hatte. Immerhin hatte er viel Zeit bei seinem Vater und in seiner Bude verbracht. »Wir haben rumgeknutscht und so.«
Als Carrie die Augen schloss, fügte Dayna trotzig hinzu: »Er hat mich geliebt.«
»Hast du ihn auch geliebt?«
»Ja«, antwortete Dayna. »Aber …« Sie verstummte, als ihr wieder bewusst wurde, wen sie vor sich hatte. Auch wenn Carrie jetzt nicht aufgetakelt mit ihrem Mikrofon herumlief, hieß das noch lange nicht, dass sie das alles nicht später in ihrer Show bringen würde, dachte Dayna. Was sich zwischen ihr und Max abgespielt hatte, ging keinen etwas an.
»Wie habt ihr euch
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