Der fremde Sohn (German Edition)
sie hinzu: »Ich war so schrecklich aufgeregt wegen dieses Interviews.«
»Aber du hast ihn trotzdem drangekriegt.« Leah betätigte die Fernbedienung, um die Jalousien hochzufahren. Strahlender Sonnenschein durchflutete das Zimmer.
»Ich weiß noch, wie ich dachte: Er weiß etwas. Du musst es nur herausbekommen.«
Schweigend tranken die beiden Frauen ihren Tee und dachten an jene Folge der Show. Carries Hände zitterten, als sie den Becher an die Lippen hob. »Jetzt bin ich wieder so verdammt nervös«, flüsterte sie. »Zum ersten Mal, seit ich denken kann, habe ich das Gefühl …« Zögernd suchte sie nach den passenden Worten. »Ich fühle mich, als hätte ich die Kontrolle verloren, Leah. Heute vor einer Woche war alles noch wie immer. Niemand warnt einen davor, was hinter der nächsten Ecke lauert. Wenn ich nur die geringste Ahnung gehabt hätte, was passieren würde, dann hätte ich …« Sie konnte nicht weitersprechen. Stattdessen nippte sie an dem Tee und verbrannte sich die Zunge.
»So ist das Leben, Carrie. Wenn ich an Gott glaubte, würde ich sagen, er will, dass wir unser Leben auskosten und jeden Augenblick genießen, als wäre es unser letzter. So dass es später nichts zu bereuen gibt.«
»Was Max betrifft, habe ich das nicht getan.« Carrie war nach Weinen zumute, aber sie hatte keine Tränen mehr, nur einen dumpfen Schmerz in ihrem Inneren. »Ich war keine gute Mutter, was?«
»Jetzt ist nicht die Zeit für Selbstvorwürfe. Das macht Max auch nicht wieder lebendig.« Leah reichte Carrie den Bademantel. »Wie wär’s mit einer Dusche?«, fragte sie und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Was ich dir noch sagen wollte, Carrie: Dennis hat dir in der Nacht eine Nachricht hinterlassen. Es gibt Neuigkeiten, und er möchte, dass wir um zehn ins Kommissariat kommen, wenn du dich dazu imstande fühlst.«
Carrie fragte sich, warum Leah sie nicht sofort geweckt hatte, als sie davon erfuhr, aber dann begriff sie, dass Leah es wohl für besser gehalten hatte, sie ausschlafen zu lassen.
»Gut, dann stehe ich jetzt auf«, sagte sie und setzte hinzu: »Aber weißt du noch, wie ich es gemacht habe? Erinnerst du dich?« Als Carrie sich erhob, verschwamm alles vor ihren Augen, und ihr wurde so schwindlig, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste.
»Wie du was gemacht hast?«
»Wie ich diesen Mann dazu gebracht habe, den Mord an seiner Familie zu gestehen. Am Ende stellte sich doch heraus, dass er gar nicht im Ausland gewesen war, wie die Polizei annahm. Er hatte jemanden angeheuert, der mit seinem Pass reiste. Jemanden, der ihm so ähnlich sah, dass er die Überwachungskameras am Flughafen täuschen konnte. Er selbst blieb zu Hause, erschoss seine Frau und die Kinder im Schlaf und steckte dann das Haus in Brand.«
»Ging es nicht um Versicherungsbetrug?«
Carrie nickte und bereute es augenblicklich, denn es fühlte sich an, als ob ihr Gehirn im Schädel herumschwappte. »Er hatte eine Geliebte und führte ein Doppelleben.« Sie zog den Bademantel an und band den Gürtel zu. In der Tür zum Badezimmer blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. »Im Laufe dieser halben Stunde wurde ich zu seiner Vertrauten. Es war so, als gäbe es das Kamerateam gar nicht, er vergaß das Publikum ebenso wie die Millionen Fernsehzuschauer. Er konnte einfach nicht mehr länger mit der Schuld leben, konnte es nicht ertragen, als Einziger die Wahrheit zu kennen. Er musste es jemandem erzählen. Mir.«
Leah nickte langsam. »Jetzt erinnere ich mich. Du warst phantastisch.«
Carrie straffte die Schultern. Hier ging es nicht um Beifall und Erfolg, sondern einzig und allein um Max. Ihr Gesicht wurde ernst, ihre Stimme nahm einen geschäftsmäßigen Ton an. »Ich will dieses Mädchen in der Show haben, Leah.« Damit wandte sie sich um und zog die Badezimmertür hinter sich zu.
Brody bat Fiona nur ungern zu kommen, aber ihm blieb keine andere Wahl. »Das ist doch mein Job«, sagte sie freundlich, und er konnte sicher sein, dass sie in spätestens zwanzig Minuten auf dem Parkplatz vor seinem Haus stehen würde. Weil er nicht wollte, dass sie seine Wohnung betrat, ging er die wenigen vertrauten Schritte, um draußen auf sie zu warten.
Zwei junge Burschen ließen immer abwechselnd einen Ball von der Hauswand abprallen, bis in einem der Nachbarhäuser eine müde wirkende Frau mit einem Handtuch um den Kopf am Fenster auftauchte und sich hinauslehnte.
»Hört mit dem verdammten Geballer auf! Ich hab die ganze Nacht
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