Der fremde Sohn (German Edition)
Wichser!«, brüllte einer von der Bande. Sie lungerten noch immer am Schultor herum und rauchten. Einer von ihnen hielt eine Getränkedose in der Hand.
Plötzlich griff Max nach ihrem Arm und drehte ihn nach hinten.
»Au! Was soll das?«, schrie Dayna.
»Mörderin!«, zischte er giftig, ohne die Bande zu beachten.
»Hör auf … Du hast doch selbst gesagt … Nicht!«
Max zerrte Dayna von dem Mäuerchen. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Er hatte den Verstand verloren. Den Joint noch im Mundwinkel, überschüttete er sie mit Schimpfwörtern. Johlend und Beifall klatschend kamen drei von der Bande näher, immer auf Randale aus. Die anderen waren gelangweilt abgezogen. Dayna hätte nicht sagen können, vor wem sie mehr Angst hatte, vor Max oder vor den anderen.
»Bitte … hör auf, bitte …« Sie begann zu weinen. Das lief alles ganz schief. Sie wollte mit ihm reden, ihm erklären, was geschehen war. Es war so ungerecht. Sie hatte doch nie eine Chance gehabt. Es hätte alles so einfach sein können, aber seine Augen waren blutunterlaufen, und seine Kiefer mahlten wie besessen auf dem Ende des Joints.
Dann lag sie plötzlich auf dem Boden, die Handflächen aufgeschürft vom rauen Asphalt. Erschrocken und wie betäubt blickte sie zu ihm auf.
»Ich dachte, wir beide gehören zusammen. Ich dachte, du … du liebst mich.« Bebend zerrte sich Max die Tasche herunter, deren Riemen quer über seine Brust verlief, riss an seinen Kleidern, seinen Haaren. Hatte er etwas genommen? Das war nicht mehr der Max, den sie kannte.
»Guckt mal, der Dünne, der is’ ja bekifft!« Das folgende Gelächter brachte Max noch mehr in Rage.
Dann lief alles wie in Zeitlupe ab. Es wirkte verschwommen und unwirklich, wie eine zeitversetzte Filmaufnahme.
Max griff in seine Tasche.
»Es war schrecklich«, sagte Dayna zu Carrie. Jetzt musste sie aufpassen, dass sie keinen Fehler machte. Schließlich war sie im Fernsehen. Sie dachte an Max und sprach ein stummes Stoßgebet für ihn.
»Was war so schrecklich, Dayna?«, fragte Carrie.
»Die Jungs von der Bande, sie standen um ihn herum. Einer von ihnen zog ein Messer.«
»O Gott«, flüsterte Carrie. »Und was geschah dann?«
Im Studio war es totenstill.
»Sie brüllten rum und beschimpften Max, bis er ganz rasend vor Wut war. Ich dachte, er würde jeden Moment explodieren.« Bei der Erinnerung krampfte sich Dayna vor Schmerz der Magen zusammen. Sie krümmte sich und begann zu weinen. Alles ging schief. Es war ihr gleich, ob sie im Fernsehen war, wer sie dort sah und was sie sagte. Sie war so traurig und durcheinander, dass sie die Geschichte, die sie sich zurechtgelegt hatte, völlig vergaß. Der Gedanke, dass Max gestorben war, ohne die Wahrheit zu erfahren, brachte sie beinahe um.
Es war alles ihre Schuld.
»O nein, bitte, tu es nicht«, hatte sie gesagt und versucht aufzustehen, doch Max drückte sie mit dem Fuß wieder zu Boden.
Dann sah sie es in seiner Hand glänzen. Das Messer, das er aus der Tasche gezogen hatte, war direkt auf sie gerichtet.
»Nein!«, kreischte sie und wälzte sich zur Seite, um der Klinge zu entkommen. Die Jungen umringten sie unter lauten Ausrufen und genossen das Spektakel. Irgendwie gelang es Dayna, auf die Beine zu kommen und wegzulaufen. Max verfolgte sie, das Messer in der ausgestreckten Hand.
»He, Mann, pass auf mit dem Ding«, rief einer von der Bande. »Sonst gibt’s hier noch Verletzte.«
Max beachtete weder ihn noch Daynas verzweifelte Versuche, ihm alles zu erklären. Er starrte sie nur mit großen, harten Augen an, aus denen alles Gefühl, alle Wärme gewichen waren.
Eine Hand strich ihr über den Rücken. »Ist schon gut, Liebes. Lass dir Zeit. Die Bande hatte also dich und Max umzingelt. Hat der Junge mit dem Messer Max bedroht? Was hat er gesagt? Weißt du noch, wie er aussah?«
Dayna hob den Kopf. Auf dem Tisch stand eine Schachtel Kleenex. Sie zog ein Tuch heraus, als säße sie bei jemandem im Wohnzimmer und nicht in einem Fernsehstudio. Wenn sie sich jetzt nicht ablenkte, würde sie sich übergeben. Sie putzte sich die Nase. »Von da an geht alles irgendwie durcheinander. Die verrückten Sachen, die passiert sind …«
Von dieser Polizistin Jess hatte Dayna erfahren, dass sie Warren Lane verhaftet und wieder freigelassen hatten. Jeder kannte Warren. Er war ein absoluter Loser, hatte schon zigmal im Knast gesessen. Er hatte Autos geklaut, gedealt und das Postamt überfallen. Und blöd war er außerdem,
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