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Der fremde Sohn (German Edition)

Der fremde Sohn (German Edition)

Titel: Der fremde Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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anderen ab und hat seit September, als er neu an die Schule kam, keinen Versuch unternommen, Freunde zu finden. Es war fast, als …«
    »Was?« Dennis beugte sich über den Schreibtisch, doch dann fiel sein Blick auf den Stapel weiterer ungelöster Fälle, und er lehnte sich wieder zurück. Damit konnte er sich jetzt nicht befassen.
    »Es war fast so, als hätten die anderen Schüler Spaß daran, ihn auch nach seinem Tod noch schlechtzumachen. Als kämen sie sich dann bedeutender vor.«
    »Rudelverhalten«, kommentierte Dennis und fügte hinzu: »Ging es um jemanden im Besonderen?«
    »Ein paar Namen wurden immer wieder genannt. In Bezug auf Banden und so. Darunter auch Blake Samms und Owen Driscoll aus der Westmount-Siedlung. Auch wenn sie nicht selbst mit drinstecken, wissen sie bestimmt etwas. Von den Befragten wollte keiner so recht mit der Sprache heraus, aber das ist ja normal.«
    »Haben Sie schon jemanden hingeschickt?«
    Jess nickte. »Die Kollegen müssten bald zurück sein.«
    Dennis biss sich auf die Unterlippe. Dann trank er einen Schluck kalten Kaffee aus seiner Plastiktasse. »Nach der Besprechung fahre ich zum Vater. Wollen Sie mitkommen?«
    Jess war bereits aufgestanden. »Sicher. Könnte interessant werden.«
    »Wieso?« Dennis zog sich die Jacke an. Ihm tat die rechte Schulter weh.
    »Weil er auch in der Westmount-Siedlung wohnt.«
    Er hatte Fiona weggeschickt, denn er wollte allein sein. Ganz und gar in die schwarze Einsamkeit eintauchen. Am liebsten hätte Brody sich die Ohren zugestopft und die Zunge herausgeschnitten, um nie mehr etwas hören oder sagen zu müssen. Sich die Haut zerfetzt, um den Schmerz durch einen noch größeren auszulöschen.
    Das Herz war ihm schon aus dem Leib gerissen worden.
    Noch nie hatte er etwas so Schreckliches empfunden. Sein Sohn, in Brodys Vorstellung noch immer ein kleiner Junge, war in Wirklichkeit ein Mann gewesen, wie er da groß und dünn, mit seinen Bartstoppeln und Piercings kalt und reglos auf dem Tisch in der Leichenhalle lag. Brodys Hände hatten Körper und Gesicht seines Sohnes wie eine Landschaft erkundet – die sanfte Wölbung seines Brustkorbs, die weichen Haarkräusel an seinen Beinen. Schließlich hatte der Arzt ihn gebeten aufzuhören, damit er keine Beweise vernichtete.
    Jetzt war sein Sohn nur noch Erinnerung und ein mögliches Beweisstück in einem zugezogenen Leichensack. Winzige Hautpartikel unter seinen Nägeln, ein Speicheltröpfchen auf seiner Wange, ein einzelnes Haar in den Falten seiner Kleidung … Brody wusste, sie würden nicht einen Zentimeter von Max’ Körper unerforscht lassen, bis der Rechtsmediziner diesen am Ende besser kennen würde als er selbst.
    Brody spannte die Muskeln an. Er merkte, dass sich jemand näherte – oder waren es mehrere? Schon klapperte das Küchenfenster von den schweren Schritten, die auf dem Betonboden des Laubengangs polterten. Dabei wollte er einfach nur allein sein.
    Dann klopfte es wie erwartet. Fiona konnte es nicht sein. Sie würde sich wie immer an seine Anweisung halten und wegbleiben, bis er sie anrief. Der einzige andere Mensch, der ihn jemals besuchen kam, war Max … gewesen.
    »Polizei. Herr Professor Quinell, sind Sie zu Hause? Wir würden gern mit Ihnen sprechen.«
    Er hatte also recht gehabt. Mehr als einer.
    Brody schlurfte zur Wohnungstür. Er hatte die Tür natürlich nie gesehen, doch Fiona hatte ihm gesagt, dass sie grau und schmuddelig war und besser zu einer Gefängniszelle gepasst hätte. Brody war es egal, solange sie ihn nur vor der Außenwelt abschirmte. Er blieb stehen.
    »Hallo? Ist jemand zu Hause?« Wieder klopfte es.
    Er hatte keine Wahl. Brody öffnete die Tür. Ein Mann und eine Frau, dachte er, als er den leichten Parfumduft wahrnahm.
    »Herr Professor Quinell, ich bin Detective Chief Inspector Dennis Masters, und bei mir ist Detective Inspector Jess Britton. Wir möchten mit Ihnen über Ihren Sohn sprechen.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Unser aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust.«
    Mit einem Nicken ließ Brody sie eintreten. Er hörte ihre zögernden Schritte – wahrscheinlich weil die Wohnung ein Dreckloch war. Das sagten zumindest Fiona und Max immer.
    »Hier entlang«, brummte Brody. Seine Stimme war heiser, in seinen blinden Augen brannten Tränen. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Mit einer Handbewegung fegte er Papiere, CD s und Kleidungsstücke vom Sofa.
    »Danke.«
    Brody hörte die alten Sprungfedern quietschen, als sich die beiden setzten.

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