Der Friedhofswächter
Hochwürden?«
»Nein.«
»Dann will ich es Euch erklären. Er ist ein fürchterlicher Mensch. Er liebt die Dunkelheit und die Wälder, in die er sich stets verkriecht. Bei mir arbeitet er in den Ställen, aber am Abend hat man ihn oft davonschleichen sehen.«
Der Totengräber rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. »Was tat er denn dort?«
»Keiner weiß es. Aber es gibt Leute, die sollen ein fürchterliches Heulen vernommen haben. Besonders dann, wenn der volle Mond am Himmel stand und sein Licht auf die Erde warf.«
Der Pfarrer schlug hastig ein Kreuzzeichen. »Ist er vielleicht eine Bestie, ein Werwolf?«
»Ich weißes nicht.« Der Großgrundbesitzer griff nach seinem Becher und trank. »Überlegt es euch. Wäre er nicht das ideale Opfer für den Friedhof. Sein Geist käme doch als Wächter in Betracht.«
Vier Männer saßen am Tisch. Einer hatte einen Vorschlag unterbreitet, die anderen drei schauten ihn an und dachten dabei nach. Der Totengräber wollte endlich seinen Acker besetzt haben und meldete sich als erster zu Wort. »Ich bin dafür. Natürlich nur, wenn den anderen kein neuer Name einfällt. Wie ist es mit Euch, Hochwürden?«
Der Pfarrer, er hatte schon den dritten Schluck zu sich genommen, lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. »Für mich ist es schwer, eine solche Entscheidung zu treffen. Aber wenn er mich nie in der Kirche besucht hat, könnte man ihn schon nehmen, meine ich. Also…« Er lachte leise. »Meinen Segen gebe ich.«
»Dann wären wir ja klar«, sagte der Reiche.
Nur der Bürgermeister schüttelte noch den Kopf. »Ich weiß, von wem Ihr sprecht. Auch ich habe ihn schon im Ort gesehen, und ich muß sagen, daß ich Angst vor ihm bekam.«
»Wieso?« fragte der Totengräber.
Der Bürgermeister wandte ihm sein Gesicht zu. »Angst insofern, als ich in sein Gesicht schaute und seinen Blick sah. Er war einfach schrecklich.«
»Wie?« fragte der Pfarrer.
»Hochwürden, habt Ihr schon in die Augen dieses Menschen gesehen? Habt Ihr das?«
»Nein.«
»Dann freut Euch. Dieser Mensch heißt Dorian Asher, und er hat einen Blick, den man mit dem eines Raubtiers vergleichen kann. Stechend, kalt und gnadenlos. Ich habe Angst und Schüttelfrost bekommen.«
Der Pfarrer duckte sich zusammen. »Ja, manchmal wohnt der Teufel in einem Menschen.«
»Das ist kein Teufel. Das ist mein Bediensteter.« Der Großgrundbesitzer schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir haben uns für ihn entschieden. Und wir werden ihn holen. Noch in dieser Nacht reißen wir ihn aus seiner Hütte und verscharren ihn.«
»Das meine ich auch«, stimmte der Totengräber zu.
Der Bürgermeister hob die Schultern und nickte gleichzeitig. »Ich schließe mich der Mehrheit an.«
»Und Ihr, Hochwürden?«
»Ich weiß nicht so recht. Muß ich eigentlich mit?«
»Ja!« Der bärtige Großgrundbesitzer schaute ihn scharf an. »Wir benötigen geistlichen Beistand.«
»Na, dann in Gottes Namen.«
Als erster stand der Bürgermeister auf, die anderen folgten ihm, und der Pfarrer trank noch seinen Becher leer. Er schwankte leicht und stützte sich an der Tischkante ab.
»Wir nehmen meine Kutsche«, sagte der Großgrundbesitzer. »Ich werde sie selbst führen.«
Die Männer waren einverstanden. Wohl allerdings war ihnen nicht zumute. Sie schauten sich gegenseitig an, und wenn die Blicke trafen, wurden sie schnell gesenkt.
Der Großgrundbesitzer verließ als erster das Haus. Seine Schritte dröhnten auf den Holzbohlen. Er war es gewohnt, überall der erste zu sein, das bewies er auch wieder. Wenn er kam, duckten andere. Er drückte die Tür nicht auf, sondern stieß sie hart nach außen und ließ sich den Nachtwind um das Gesicht blasen.
Es war kühl geworden. Die Luft roch nach Regen und war sehr feucht. An einigen Stellen hatten sich graue Nebelinseln gebildet, die träge über die Landschaft zogen.
Auch den Pferden war nicht wohl. Sie schnaubten unwillig und scharrten mit den Hufen. Aus ihren Nüstern strömten Nebenwolken. Die Kutsche stand bereit. Ein Zweispänner mit Platz für mehrere Passagiere. Der Besitzer saß bereits auf dem Bock und schaute den anderen entgegen. »Los, steigt auf.«
»Ich komme zu Euch«, rief der magere Totengräber und nickte ein paarmal so heftig, daß ihm fast der schwarze Zylinder vom Schädel gerutscht wäre.
»Laß erst die anderen beiden einsteigen.«
Der Bürgermeister war mutiger als der Pfarrer. Er mußte den Geistlichen förmlich in die Kutsche
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