Der Friedhofswächter
daß es schneller ging, denn die Männer wurden von einer unerklärlichen Hast getrieben.
Der Pfarrer aber machte nicht mit. Er hielt sich aus allem heraus. Sein Weg führte ihn des öfteren um das Grab herum, wobei er die alten Gebete und Verse murmelte, die auch in den Überlieferungen vorgeschrieben worden waren.
»Ich hätte noch Weihwasser haben müssen!« sagte er irgendwann einmal, doch O'Lee winkte ab.
»Unsinn, wir machen weiter.«
Und sie schafften es auch, bevor die Morgendämmerung sich über den weiten Himmel schob.
Zu viert trampelten sie das Grab fest.
Ziemlich erschöpft warfen sie die Schaufeln weg und schauten sich an. O'Lee hatte das Gesicht zu einem breiten Grinsen verzogen. »So werden wir demnächst hier unsere Toten begraben können, denn wir haben den alten Gesetzen gehorcht. Der Friedhof hat einen Wächter bekommen, wir können beruhigt sein.«
Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als sie wieder das schaurige Heulen vernahmen.
Wie vom Donner gerührt, blieben sie steif stehen und schauten sich gegenseitig an.
»Wo kam es her?« hauchte der Totengräber, der eine Gänsehaut bekommen hatte.
Der Arm des Pfarrers zitterte, als er ihn bewegte, den rechten Zeigefinger krümmte und auf das frische Grab deutete. »D… dddaaa!« stotterte er. »Da kam es her.«
»Unsinn!« widersprach der Bürgermeister, aber seine Stimme klang verdammt unsicher.
Der Totengräber bewegte sich als einziger. Er fiel auf die Knie und preßte sein rechtes Ohr gegen die noch weiche Erde an der Oberfläche, als könnte er so in die Tiefe des Grabes lauschen. »Das kann sein«, flüsterte er. »Es müssen seine letzten Laute gewesen sein.«
»Nein!« O'Lee widersprach heftig. »Der ist schon längst erstickt. Erzählt mir doch nichts.«
Der Totengräber erhob sich wieder. »Ich weiß es nicht!« hauchte er und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Es waren die letzten Worte, die sie miteinander auf dem Friedhof gesprochen hatten.
So schnell wie möglich wollten sie das unheimlich gewordene Stück Land verlassen.
Über das Heulen sprachen sie nicht mehr. Nur der Totengräber hatte es in den Jahren danach noch manches Mal gehört. Immer dann, wenn der Vollmond am Himmel stand.
Erzählt aber hatte er davon niemandem, sein Wissen hatte er mit ins Grab genommen…
***
Hinter Tavistock, am westlichen Rand des Dartmoor-Sumpfs, hatten wir die Straße genommen, die uns direkt in die unmittelbare Gegend führte, in der unser Ziel lag.
Es war die Road Nr. 390.
Eine Straße der ersten Klasse, wie man sie bei uns bezeichnet, aber davon merkten wir nicht viel, denn an einigen Stellen wurde sie ziemlich eng, so daß wir mit dem Tempo heruntergehen mußten. Bill hatte die erste Strecke gefahren. Jetzt saß ich am Steuer und lenkte den Kombi-Volvo durch Cornwall, das Land mit den zahlreichen Legenden, Geschichten und unheimlichen Begebenheiten. Es war wieder warm geworden, leider auch dunstig und feucht. So stand die Sonne wie ein blasses Auge am Himmel, das auf uns niederschien, als wollte es uns quälen.
Sheila saß mit ihrem Sohn im Fond. Hin und wieder beschwerte sich Johnny, weil er Hunger hatte. Er bekam zu essen und zu trinken. Sheila hatte den Proviant mitgenommen.
Auf der Ladefläche lag die Wölfin. Sie bewegte sich kaum. Hin und wiederschaute Sheila nach ihr. Sie meldete jedesmal nach vorn, wie ungewöhnlich apathisch sich das Tier gab.
»So völlig anders«, sagte sie einmal. »Man kann direkt Angst vor ihr bekommen.«
»Klar, sie hat ihre Seele verloren«, kommentierte Bill, und damit hatte er nicht unrecht.
Natürlich wollte Johnny mit Nadine spielen und dabei auch zu ihr klettern, doch seine Eltern verboten es ihm. Das Tier durfte jetzt nicht gestört werden.
Zudem änderte sich das Verhalten der Wölfin. Je näher wir unserem Ziel kamen, um so unruhiger wurde sie. Manchmal stand sie auf und preßte ihr Gesicht gegen die Heckscheibe, als würde sie draußen irgendwo etwas erkennen.
»Sie merkt etwas«, sagte Bill zu mir. »John, wir haben die richtige Spur gefunden.«
»Das hoffe ich auch stark!«
Die Fahrt war nicht nur für uns allein langweilig und strapaziös, auch Johnny meldete sich. Bereits seit einigen Minuten war er unruhig. Jetzt konnte er es nicht mehr aushalten, weil er mal mußte.
»Kannst du anhalten, John?«
»Sofort?«
»Vielleicht am nächsten Restaurant oder Gasthaus. Ich möchte auch etwas essen.«
»Mach ich.«
»Und ich halte es noch solange
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