Der Friedhofswächter
ihn als Einzelgänger bezeichnen und auch als einen Tagelöhner. Er hatte sich immer von allen ferngehalten, war nie auf den Tanzboden gegangen und auch nicht in das Gotteshaus. Als kleines Kind schon, seine Eltern hatte er nicht gekannt, war es ihm stets ein Vergnügen gewesen, um die Kirche einen Bogen zu schlagen. Er haßte sie. Er haßte den Pfarrer, er haßte alles, was mit der Kirche zu tun hatte.
Dieses Gefühl war tief in seinem Innern geboren worden. Manchmal, wenn er des Nachts in einem Tiefschlaf lag, hatte er auch die Stimme gehört.
Sie hatte zu ihm gesprochen, und sie war aus weiter Ferne geklungen. Diese Stimme war etwas Besonderes gewesen. Keine menschliche, das hatte er sofort gespürt. Sie mußte aus einer anderen Welt stammen. Vielleicht lag sie in den Tiefen des Grauens, wo jemand herrschte, der auch angebetet wurde.
Der Teufel!
Aber er war es nicht. Später, viel später hatte Dorian den Namen des Sprechers erfahren. Fenris!
Zunächst hatte er damit nichts anfangen können, aber Fenris hatte ihm erklärt, wer er war. Der Götterwolf!
Und Dorian hatte einen Satz gehört, der für ihn zum Leitmotiv werden sollte.
Bevor die Menschen waren, du waren die Wölfe.
Noch wußte er nicht, wie er alles verstehen sollte, bis man ihn aufklärte. Auch er war ein Wolf.
Ein Wolf als Mensch versteckt — ein Werwolf!
Du wirst nie sterben können, wenn du genau tust, was ich dir sage. So hatte es ihm der Götterwolf erklärt, und Dorian selbst hatte, als er älter wurde, den Drang des Unheimlichen in sich verspürt. Es war das andere seiner Seele, das Böse, das irgendwann einmal zum Durchbruch kommen würde.
Es geschah in einer Sommernacht, als der Vollmond am Himmel stand und die Erde mit seinem fahlen Licht übergoß.
Ein kleiner Hügel war der richtige Ort gewesen. Dort hatte er sich im Licht des Mondes baden können, und er hatte die Kraft verspürt, die ihm dieser fahle Schein gab. Es war aus ihm herausgebrochen, als würde er ein innerliches Gewitter erleben.
Dorian Asher wurde zum Werwolf. Und damit hatte er seine eigentliche Berufung erreicht.
Der Mensch und die Bestie!
Beides konnte er miteinander verbinden. Er führte jetzt ein Doppelleben. Tagsüber als Mensch, auch in den meisten Nächten. Aber wehe, wenn der Vollmond glanzvoll am Himmel leuchtete, da war er dann der einsame Jäger, der durch die Gegend schlich und seine Opfer suchte. Er hatte es nie geschafft, Menschen zu reißen, aber Tiere hatten vor ihm nicht fortlaufen können. Und so war sein Trieb nach jedem Mord eingedämmt worden. Bis er erneut hervorbrach…
Während dieser Phase hatte er auch mit Fenris sprechen können und von ihm erfahren, daß er irgendwann einmal auch ihm einen Gefallen erweisen müsse. Das aber könne Hunderte von Jahren dauern. Aber jetzt war es aus. Die Menschen hatten es geschafft und ihn überwältigt. Sie hatten ihn in das erste Grab geschleudert, um einen Friedhofswächter zu haben.
Der Lehm klatschte schwer auf seinen Körper. Sie beeilten sich, und auch Dorian Ashers Kopf war bereits bedeckt. Jetzt hätte er hochspringen und das Grab verlassen müssen, aber er brachte es nicht fertig. Etwas lähmte ihn.
Das konnte nicht nur allein der Zustand dieser ungewöhnlichen Bewußtlosigkeit sein, es mußte an etwas anderem liegen, über das er zwar nachdachte, aber zu keinem Ergebnis kam.
Bis sich plötzlich die Stimme wieder meldete. Abermals war es Fenris, der Götterwolf, der zu ihm sprach.
»Ich habe dich magisch beeinflußt«, erklärte dieser. »Du wirst hier liegen und dich nicht rühren. Du wirst dich begraben lassen, aber denke immer an meine Worte. Ich lasse dich nicht sterben. Ich lasse dich nur schlafen. Irgendwann wirst du von mir geweckt werden, um meinen Auftrag zu erfüllen. Der Friedhofswächter gehorcht mir. Die Menschen haben viele Fehler begangen, das hier ist einer ihrer größten, denn sie wollen die Macht der Wölfe nicht kennen, und dafür werden sie büßen. Ich allein zeige ihnen, wo es langgeht, auch dir, Dorian…«
Berührten ihn die Worte? Asher dachte darüber nach. Ja, plötzlich war es ihm egal. Er blieb auch weiterhin still liegen und wartete darauf, daß ihn die nächste Ladung erwischte.
Nichts störte ihn dabei…
Sollte der Lehm auf seinen Rücken klatschen und ihn auch die Kommentare der vier Männer begleiten. Sie hatten durch ihre Tat diesen Friedhof dem Bösen geweiht.
Oben wurde weiter geschaufelt. Der Totengräber hatte noch zwei Schaufeln besorgt, so
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