Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
herunterhing?«
»Ich glaube nicht. Warum?«
»Weil auch Ngam, das Mädchen aus Vang Vieng, einen gebrochenen Finger hatte.«
»Meinen Sie, das hat etwas zu bedeuten?«
»Nur so ein Gedanke. Wenn es der Ringfinger war, legt das den Schluss nahe, dass er den Ring unter allen Umständen zurückhaben wollte. Gesetzt den Fall, die Finger waren geschwollen, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als ihr die Knöchel zu brechen. Vielleicht hat er ein Problem mit der Ehe per se.«
»Dr. Siri, dieser Irre könnte im ganzen Land eine Frau nach der anderen umbringen, ohne dass jemand etwas davon bemerkt.«
»Dann kontaktieren Sie so schnell wie möglich sämtliche Polizeiwachen, und bitten Sie die Kollegen, in ihren Akten nachzusehen.«
»So einfach ist das leider nicht, Doktor. Die Royalisten haben vor ihrer Flucht die meisten Akten vernichtet. Wir haben eine Ewigkeit gebraucht, um unsere Registratur einigermaßen in Ordnung zu bringen. Und in den ersten achtzehn Monaten war es fast genauso wie in Luang Nam Tha: Fußsoldaten anstelle von Polizisten. Und nicht alle konnten lesen und schreiben. Und selbst wenn es ein solches System gäbe, wäre uns damit nicht unbedingt gedient: In beiden Fällen wurden die Leichen eher zufällig entdeckt, bevor der Wald sie vollständig verschlungen hatte. Wenn es noch weitere Morde gab, werden wir womöglich nie davon erfahren.«
Siri kippte wieder nach vorne und setzte sich breitbeinig hin. Er zog ein leeres Blatt Papier und einen Bleistift aus seiner Schreibtischschublade und fertigte eine grobe Skizze an. Phosy beugte sich über den Tisch, um einen Blick darauf zu werfen.
»Ein Panda?«, riet er.
»Das soll Laos sein, Inspektor. Und jetzt passen Sie auf. Hier ist Ban Xon, wo Ngam und Phan sich kennenlernten. Da ist Vang Vieng, wo ihre Leiche gefunden wurde. Die Entfernung beträgt ungefähr vierzig Kilometer. Nehmen wir an, er umwirbt und heiratet sie an Ort A und bringt sie dann zu Ort B, wo die Tote niemand identifizieren kann und er keine Angst zu haben braucht, dass ihre Familie sie als vermisst meldet. Wenn wir dasselbe Prinzip auf die Leiche Ihres Soldaten in Luang Nam Tha anwenden, dürfen wir davon ausgehen, dass das Opfer aus Muang Sing oder Na Mo stammte. Sie haben ganz recht, weitere Leichen werden wir vermutlich nicht finden. Deshalb sollten wir unsere Bemühungen fürderhin auch nicht auf Leichen konzentrieren, sondern auf Bauernmädchen, die sich von Süßholz raspelnden Hauptstadt-Casanovas haben abschleppen lassen und seitdem spurlos verschwunden sind.«
»Siri, Sie hören offenbar nicht richtig zu. Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, dass wir noch nicht einmal über eine Datenbank verfügen. Wie sollen wir da an Informationen über verschollene Töchter kommen?«
»Indem wir uns ein Netzwerk zunutze machen, das sich mit solchen Dingen beschäftigt – ein Netzwerk übrigens, das weitaus besser funktioniert als das der Polizei.«
»Ach ja? Nämlich welches?«
Kurz nach zehn hielt Siri vor der bescheidenen, von Bäumen umstandenen Zentrale des Laotischen Patriotinnenverbandes. Die Organisation war 1955 gegründet worden, um die bislang unerschlossene Ressource Frau für die Laotische RevolutionäreVolkspartei nutzbar zu machen. Drei Jahre später hatten die Frauen das Wahlrecht erhalten – pünktlich zu der ersten Wahl, bei der die kommunistischen Freiheitskämpfer mit ins Kabinett einzogen. Der Sozialismus hatte den Status der holden Weiblichkeit einer radikalen Neubewertung unterzogen und sie ermutigt, am Aufbau des sozialistischen Staates aktiv mitzuwirken. Wenn auch in eng gesteckten Grenzen, denn bis heute gab es keine einzige Frau, die einen Sitz im Politbüro, geschweige denn im ZK innegehabt hätte. Trotzdem war das Netzwerk weit verzweigt und bot Frauen an beiden Enden des wirtschaftlichen Spektrums immense Vorteile.
Die Damen kamen, in strahlend weißen Blusen und frisch gebügelten phasins , aus einem Konferenzzimmer, in der Hand ihre leeren Teetassen und fein säuberlichen Notizen. Sie sahen zufrieden aus, eine wie die andere. Vielleicht, überlegte Siri, weil sie nicht mit Männern zusammenarbeiten mussten. Doch als sie den kleinwüchsigen Doktor lächelnd in der Eingangshalle stehen sahen, wünschten sie ihm freundlich nickend »Wohlsein«, als habe er ihnen keineswegs den Tag verdorben. Die Dame, die er sprechen wollte, verließ das Zimmer mit als Letzte. Sie hielt einen klobigen Diaprojektor im Arm, auf dem sich Studienmaterialien
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