Der fröhliche Frauenhasser: Dr. Siri ermittelt (German Edition)
hat gesagt, dieser Buaphan spräche mit zentrallaotischem Akzent und wirke durchaus kultiviert. Mir will einfach nicht in den Kopf, warum so jemand in einer Amtsstube seine Zeit vertrödelt. Der Doktor meinte, er stamme wahrscheinlich aus einer einflussreichen Familie, die ihm einen Posten gekauft hat. In diesem Fall wäre es doch durchaus möglich, dass er im Krieg für die Royalisten im Norden tätig war. Zum Beispiel als Ingenieur oder dergleichen. Wenn er damals mit dem Morden begonnen hat, brauchte er keinen Vorwand, um herumzureisen und junge Frauen zu töten. Denn dazu hatte er reichlich Gelegenheit. Und das gefiel ihm so gut, dass er sich den Posten bei der Zensusbehörde besorgt hat, damit er auch weiterhin ungestört seinem Hobby frönen konnte.«
»Meinen Sie wirklich, jemand in so exponierter Stellung würde ein solches Risiko eingehen?«
»Warum denn nicht, Phosy? Sie wissen doch selbst, wie arrogant er ist. Er ist davon überzeugt, dass er uns haushoch überlegen ist. Er hat alles sorgfältig geplant. Er kann sich gar nicht vorstellen, dass er geschnappt wird. Er hält sich für Gott.«
16
SPIESSRUTENLAUF
Phan saß nackt und im Schneidersitz unter dem Baum, den er sich bei seinem letzten Aufenthalt ausgesucht hatte. Er hieß die gefräßigen roten Ameisen und vampirischen Mücken, die sich an ihm mästeten, mit offenen Armen willkommen. Früher oder später würden auch sie begreifen, dass er unbesiegbar war. Im Schein der Kerzen sah er die Unterlagen ein letztes Mal durch: das Aufgebot, der Wohnungsnachweis, die Passierscheine, die Bewilligung des Standesamtes, Kontoauszüge, ein polizeiliches Führungszeugnis, das ihn als unverheirateten und unbescholtenen Mann auswies, und – das Sahnehäubchen auf dem Kuchen – ein vollständiger Lebenslauf.
Er ließ sich rücklings ins trockene Gras sinken und seufzte. Was war es doch für ein Glück, in einem Staat zu leben, in dem der Einzelne keine Rolle mehr spielte. Alles, auch er selbst, existierte nur noch auf dem Papier. Ein Mensch, der mit nichts als seinem Atem und einem kraftvoll schlagenden Herzen auf Erden wandelte, war in der Demokratischen Volksrepublik Laos kein Mensch mehr. An die Stelle Gottes war ein profaner Buchhalter getreten.
»Ich habe einen Ausweis, also bin ich«, sagte er. Und in seiner jetzigen Inkarnation war er Phumphan Bourom vom Wasserwirtschaftsamt: ein leitender Ingenieur mit DDR -Diplom. Er würde die Dorfbewohner mit Papieren überschütten, sie darüber beratschlagen lassen, in der sicheren Gewissheit, dass sie ihre Echtheit vor der Trauung ohnehin nicht würden überprüfen können. Sämtliche Dokumente trugen Unterschrift und Stempel von angesehenen Kadern aus der Kapitale. Der Dorfvorsteher würde die Formulare gegenzeichnen und grünes Licht für die bereits geplante Hochzeit geben. Das war so sicher wie das Om im Tempel, denn damit wäre er der Verantwortung enthoben. Für einen Provinzfunktionär gab es nichts Schöneres, als Entscheidungen auf andere abzuwälzen.
Phan stützte sich auf die Ellbogen und starrte zum elfmillionsten Mal auf den himmlischen Irrtum zwischen seinen Schenkeln, in der Hoffnung, dass dieser sich über Nacht endlich entschieden hatte: So oder so? Dies oder jenes?
Seine Mutter hatte ihm seit frühester Jugend damit in den Ohren gelegen. Sie hatte gedacht, die Kleidchen und rosa Bänder aus dem Nähkästchen der Missionarin seien ihrer Tochter/ihrem Sohn vielleicht ein Ansporn.
»Aber sie wird immer größer«, hatte sein schwachsinniger Vater eingewandt. »Und sie sieht ganz und gar nicht wie ein Mädchen aus.«
Mutter ließ sich davon nicht beirren. Sie bemühte sich beharrlich. Und ging sogar so weit, ihr einziges Kind in der Kunst zu unterweisen, eine Frau zu sein.
Das Gespött der Schule.
Jeder neue Tag ein nicht enden wollender Albtraum.
Ein einziger Spießrutenlauf.
Da in seinem Personalausweis das Wörtchen »Fräulein« stand, taumelte dieses linkische, milchbärtige Gör bis zum Alter von vierzehn Jahren mehr schlecht als recht durchs Leben, behängt mit den rosa Bändern seiner Mutter. Und dann, von einem Tag zum anderen, war plötzlich nichts mehr wie zuvor.
Es herrschte Krieg. Die Nachbarn waren entsetzt, aber nicht sonderlich erstaunt, als sie die Eltern tot in ihrem eigenen Haus entdeckten, mit einer Machete in handliche Portionen zerhackt. Die sonderbare Tochter war verschwunden, vermutlich geschändet und ermordet. Und für Phan begann ein neues Leben. Es war eine
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