Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
anscheinend grübelt sie jetzt über alle Beschwernisse ihres Lebens nach. Und ich grübelte über sie nach. Sie dachte sicher nicht, dass sie ein gutes Ende haben würde, obwohl sie eine Frau war, deren Leben voller Aufregungen und Geheimnisse war – keine der deprimierenden ideologischen Art, sondern ganz profane Geheimnisse, Geschäfte, Geld, alltägliche Dinge –, und der es dennoch gelang, eine gesunde Routine aufrechtzuerhalten. Sie verschwand jeden Morgen zur Kirche der Heiligen Maria, wo ihr Dealer hinter einem grauen Vorhang an der ornamentgeschmückten Steintreppe neben dem Eingang auf sie wartete. Er übergab ihr die tägliche Ration, siebzig illegale Lotteriebilletts und im Sommer auch ausgesuchte Karten für Kulturveranstaltungen zu Schwarzmarktpreisen. Von dort brach sie zu ihren anonymen Kunden auf, wartete gegen die Mauer gelehnt außerhalb des Behman-Kinos am Platz der Revolution, und obgleich sie alt, leicht gebeugt und faltig war, hatte sie die Haltung einer Französin an sich – halb gealterter Pariser Kinostar aus den Dreißigern, halb einstige Prostituierte aus der Gosse, wie sie erklärte. Sie war zufrieden damit, denn ihr Erscheinungsbild zog Käufer an, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und ließ vor allem nichts von dem törichten, feudalen Mädchen erkennen, das sie einmal war. Zu ihren Stammkunden zählte auch ein Busfahrer, der zur Legende wurde, nachdem sie ihn zum Millionär gemacht hatte. Er hatte sie seitdem, allem Ruhm zum Trotz, nie vergessen und suchte sie weiterhin zweimal in der Woche auf, schickte ihr auch neue Kunden, versehen mit wärmsten Empfehlungen. Am Mittag machte sich Frau Safureh auf den Weg zu ihrer Lieblingsbankfiliale in der Firdausistraße. Der Leiter dort umwarb sie, und sie unterhielten sich bei einem Glas Cidre über die internationale Lage der Finanzen; sie sagte nie «Wirtschaftslage», sie redete nur von Finanzen, mit kapitalistischer Intonation. Frau Safureh provozierte ihn, bestand mit Vorliebe darauf, dass er ihr erklärte, was unmöglich zu verstehen war: «Wenn wir der zweitwichtigste Öllieferant der Welt sind, der dieses Jahr einen Spitzenertrag von viereinhalb Millionen Barrel pro Tag aufgefahren hat, ich bitte Sie, Herr Direktor, wie kommt es dann, dass wir hier einen Gas- und Benzinmangel haben? Was sind das für Finanzen? Genau gesagt ist es eine Absurdität», sagte sie gebildet.
    «Das ist ein Raffinerieproblem», erwiderte er mit fachmännischer Kenntnis, «aber der Präsident hat versprochen, es würde sich regeln, und vorgeschlagen, vorerst warme Kleidung anzuziehen.»
    «Nicht nur an Benzin fehlt es», beharrte sie, «auch an der Elektrizität. Und die Knappheit lähmt die Hydraulikkraftwerke. Wasser, um Getreide anzubauen, gibt es auch nicht genug, also importiert man Weizen von den Amerikanern. An Reis fehlt es ebenso. Vierzehn von dreißig Provinzen im Land sind bereits zu Dürregebieten erklärt worden, viele werden ohne Wasser bleiben, falls es keinen regenreichen Winter geben sollte. Und der wird wohl kaum kommen, bei unserem Glück. Ausländische Investoren flüchten, eine Lösung für die Arbeitslosigkeit gibt es nicht, die Inflation hat die Dreißig-Prozent-Marke überschritten, wer ist nun also schuld an den Preissteigerungen, Herr Bankdirektor?»
    «Die Basarhändler», rief er aus. Er wisse Bescheid, denn ihre Lager seien schließlich reich gefüllt: Fleisch, Gemüse, alles, aber die Preise blieben überteuert, der Mangel sei also reines Theater. Und auch die Vereinten Nationen, diese erbärmlichen, verlogenen Heuchler, die seien auch schuld, samt allen internationalen Sanktionen. Er blähte sich auf, wenn er wütend wurde. Und in Frau Safurehs Wangen, wenn sie uns hin und wieder von ihm erzählte, kamen zwei anmutige Grübchen zum Vorschein, wie bei einem schelmischen kleinen Mädchen.
     
    Der Strom war wieder da. Und ich kehrte in die Wohnung zurück. Zahra lag dämmernd auf dem Sofa ausgestreckt, versuchte angestrengt, wach zu bleiben, und Babak saß über den Computer gebeugt und rief: «Endlich! Wir haben auf dich gewartet, Kami, wir haben’s gefunden! ‹Schaidas Leiter›! Das ist ihr letzter Film, der aus dem abgebrannten Rex-Kino. Von allen gesammelten Kassenschlagern ist nur er übrig geblieben und nur ein Exemplar, im Internet, bei einem aus Kuwait, Schaschlik, der Kuwaiter, der in Melbourne wohnt. Er ist bereit, ihn uns gratis zu überlassen, du musst uns die Datei runterladen!»
    «Das Internet in

Weitere Kostenlose Bücher