Der geheime Name: Roman (German Edition)
Herr ihn doch schlagen. Schmerzen waren ihm lieber als der Schmutz, den er auf einmal an seinen Fingern fühlte.
Hastig duckte er sich und wartete auf den Peitschenhieb.
»Der Geheime hat einen Auftrag für Morasal.«
Mora zuckte zusammen. Der Tonfall des Herrn klang so sonderbar, dass er wieder aufsehen musste.
»Einen besonderen Auftrag.« Der Geheime lächelte und entblößte sein breites Gebiss.
Der Herr war hässlich – zum ersten Mal hatte Mora diesen Gedanken –, ein hässliches Herrenscheusal. Plötzlich musste er grinsen, konnte nichts dagegen tun, während ein kaum merkliches Beben durch seinen Körper lief. Noch nie hatte er so etwas gewagt: etwas Böses über den Herrn zu denken und ihn dabei anzugrinsen. Jeden Moment erwartete er den Hieb.
Doch die Schläge blieben aus.
»Morasal wird ab morgen allein leben.« Der Herr sprach im gleichen Ton weiter. »Nördlich des Moores hat der Geheime ihm eine Erdhöhle eingerichtet. Dort soll das Menschentier hausen.«
Moras Brust durchzog ein Schmerz, der schlimmer war als alle Schläge, mit denen der Herr ihn je gestraft hatte. Der Herr wollte ihn verbannen. Er durchschaute seine Bosheit.
»Morasal bereut alles, was es falsch gemacht hat. Bitte, Herr: nicht in die Verbannung. Es will ein eifriger Diener sein und die bösen Menschengefühle besiegen.«
Der Schaukelstuhl knarrte, als der Herr sich vorbeugte. Seine Finger berührten Moras Kinn und hoben es an. »Er hat gesagt, er habe einen Auftrag für Morasal. Einen wichtigen Auftrag. Wenn das Menschentier ihn erfüllt hat, darf es zurückkommen.«
Mora blickte in die großen Augen. Fast gütig sahen sie ihn an. Ein heißes Gefühl strömte durch seinen Körper. Nur drei oder vier Mal in seinem Leben hatte ihn der Herr so angesehen.
»Der Geheime weiß, dass Morasal ein guter und fleißiger Diener ist. Darum gibt er ihm auch diesen Auftrag.« Der Geheime strich über Moras Kopf, schob seine Haare zur Seite und legte die Hand in seinen Nacken.
Mora schloss die Augen. Die Hand brannte auf seiner Haut. Sie gehörte nicht dorthin – und dennoch war es schön. Weil der Herr noch nie so gut zu ihm gewesen war wie in diesem Moment.
Die Stimme des Herrn kam näher, säuselte an seinem Ohr. »Damit Morasal seine Aufgabe erfüllen kann, hat er ihm einen eigenen Tarnkreis geschaffen, der den ganzen Wald nördlich des Moores umfasst.«
Mora schluckte. Seine Stimme krächzte, ließ sich kaum noch kontrollieren. »Das ist der größte Teil seines Revieres.«
Die Finger des Herrn streichelten seinen Nacken, zeichneten Kreise auf Moras Haut. »Ja, so ist es. Der Geheime setzt großes Vertrauen in Morasal.«
Mora stieß die angehaltene Luft aus, duckte sich noch tiefer unter der Berührung und wollte gleichzeitig aufspringen und den Herrn von sich stoßen. Wenn der Geheime von seinen Gedanken wüsste, von seinem Bedürfnis, ihn zu verletzen, ihn zu töten … So viel Vertrauen war er nicht wert.
Doch er durfte den Herrn jetzt nicht enttäuschen. »Was soll es tun?«
Die Finger des Geheimen glitten weiter, strichen über Moras Schulter, streiften seine Brust und ließen ihn endlich los.
Mora atmete auf. Doch sein Köper wurde von einem Zittern ergriffen, so heftig, dass es sich nicht verbergen ließ.
Die Augen des Herrn blitzten, nahmen es wahr. Dennoch wurde seine Stimme so sanft wie nie zuvor: »Morasal soll dem Geheimen etwas bringen. Aber Anweisungen dazu wird er ihm erst geben, wenn die Zeit gekommen ist. Bis dahin soll das Menschentier seine Höhle einrichten und für Nahrungsvorräte sorgen.« Das Gesicht des Herrn kam wieder näher. »Und denke es immer daran: Sein Auftrag ist von großer Bedeutung.«
Moras Herz raste, fast als wollte es versuchen, die sanfte Stimme durch seinen Leib zu pumpen. Er durfte den Herrn nicht verletzen, durfte nie wieder so etwas denken. Der Geheime meinte es gut mit ihm.
Mora streckte den Oberkörper und neigte sein Haupt. »Jawohl, Herr. Morasal wird den Geheimen nicht enttäuschen.«
5. Kapitel
I mmer heftiger strömte das Adrenalin durch Finas Körper, während sie das Tal hinter sich ließ. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so schnell Rad gefahren zu sein, war sich sicher, noch nie solche Panik gespürt zu haben.
Was, wenn ihre Mutter sie aus dem Fenster gesehen hatte? Und was, wenn ihr Vater noch in der Nähe war und ihr gleich in seinem Mietwagen entgegenkam?
Sie wurde von zwei Seiten verfolgt und fühlte sich in der Weite der Landschaft wie eine
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