Der Gladiator
Besucher ins Wort, »also kannst du genausogut sagen, die Berater sind das Gesetz.«
Da fragte Tigellinus mit schneidender Stimme: »Bist du für oder gegen den Kaiser?«
Seneca antwortete ruhig und gelassen, wie es seine Art war: »Ich habe Neros Geschicke gelenkt, seit er elf Jahre alt war. Ich habe ihn lesen und schreiben gelehrt und nicht zuletzt denken. Und wenn heute Griechenland das Land seiner Träume ist, dann ist das kein Zufall. Ich bin es gewesen, der dem Kaiser griechische Kunst und Philosophie nahebrachte. Ich habe ihn geformt wie ein Bildhauer eine Statue; nur formte ich anstelle seiner Glieder seine Gedanken. Glaubst du nicht, daß es töricht ist, zu fragen, ob ich für oder gegen den Kaiser sei? Du könntest ebensogut fragen, ob ich für oder gegen mich bin.«
»Warum hast du dich dann vom Prinzeps entfernt? Warum verfolgst du sein Tun mit Mißtrauen aus der Ferne?«
»Das will ich dir wohl erklären«, antwortete Seneca, »ich bin 60 Jahre alt, viele Jahre meines Lebens war ich so schwer krank, daß Caligula mich von seiner Todesliste strich, weil er meinte, einen Halbtoten könne man nicht hinrichten. Ich habe unter Claudius sieben Jahre auf Korsika in der Verbannung zugebracht, mir fehlt nun einfach die Kraft, mich mit euch Jungen herumzuschlagen, euch, die ihr jeden Schritt des Kaisers vorschreibt, euch, denen nur euer eigenes Wohl am Herzen liegt und nicht das des Staates.«
Tigellinus konterte: »Umsonst waren deine Dienste schließlich auch nicht. Die Vögel pfeifen es von den Dächern, daß sich dein Vermögen, während du in des Kaisers Diensten standest, um dreihundert Millionen Sesterze vermehrt hat.«
»Das leugne ich nicht«, antwortete der Philosoph, »nur unterscheide ich mich von euch in einem wesentlichen Punkt. Ihr, seine Berater, seid nur darauf bedacht, dem Kaiser das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich hingegen habe mich gewehrt, wenn Nero mich allzu großzügig entlohnte. Erst vor kurzem habe ich den Prinzeps gebeten, all die Güter zurückzunehmen. Er hat es abgelehnt.«
»Um so schändlicher ist es, wenn du dem Kaiser in den Rücken fällst …« Seneca sah Tigellinus fragend an. Dieser sagte: »Meine Späher wollen erkundet haben, daß du Verbindung zu jenen adligen Männern aufgenommen hast, die gegen den Prinzeps ein Komplott schmieden. Eine Frau aus ihrer Mitte ist verraten worden; doch selbst unter glühenden Eisen war sie nicht willens, ihre Mitverschwörer preiszugeben.«
»Weil es keine Mitverschwörer gibt.«
»Es gibt sie wohl. Davon bin ich überzeugt. Leider kann ich sie aus der Frau nicht mehr herauspressen. Sie erhängte sich mit ihrem Brusttuch.«
»Und wenn sie unschuldig war? Fühlst du keine Schuld an ihrem Tod?«
»Der Truppenkommandant von Misenum hat bei allen Göttern und seiner rechten Hand geschworen, von der Frau als Verschwörer angeworben worden zu sein. Er ist ein ehrenwerter Mann.«
»Ehrenwert? Ist es nicht jener Volusius Proculus, der auch beim Tode Agrippinas seine Hand im Spiel hatte? Er, scheint mir, schwört jeden Eid, der gut bezahlt wird.«
Tigellinus machte ein ernstes Gesicht. »Er gab an, du pflegtest geheime Kontakte zu einem gewissen Piso, dem Haupt der Verschwörer, und man habe dich als Neros Nachfolger vorgesehen.«
Seneca sprang auf und ging sichtlich erregt auf und ab. Tigellinus setzte ein unverschämtes Lächeln auf und sprach: »Solltest du an Flucht denken, so wisse, es ist zu spät. Dein Haus ist von Prätorianern umstellt.« Da ging der Alte ans Fenster und sah nach draußen. Als er die Goldhelme mit den roten Federbüschen erkannte, wandte er sich angewidert ab. »Ist das dein Entschluß oder der Wille des Kaisers?«
Tigellinus erwiderte ausweichend: »Es geschieht zum Wohle unseres Prinzeps.«
»Ich verstehe«, sagte Seneca ruhig, »meine Zeit ist gekommen.« Dann rief er nach seiner Frau Paullina.
Die Aufdeckung der Verschwörung gegen den Kaiser hatte katastrophale Folgen. Als der Prinzeps erkannte, daß er nur knapp einem Mordanschlag entronnen war, schlug er um sich wie ein in die Enge getriebenes Tier und ließ jeden verhaften, der von irgend jemandem beschuldigt wurde.
Seneca gab sich selbst den Tod, indem er sich die Pulsadern öffnete. Er wollte sich nicht einem Schauprozeß aussetzen. Sein Tod löste in Rom eine wahre Selbstmordwelle aus, nachdem bekanntgeworden war, wie glücklich der Philosoph und Dichter gestorben war. Die Römer, die zum Sterben schon immer eine ganz besondere Beziehung
Weitere Kostenlose Bücher