Der Gladiator
suchen, wir Unfreien müssen tun, was unserem Herrn gefällt. Gefällt es ihm, uns zu züchtigen, müssen wir ihm den gewünschten Körperteil darbieten, gefällt es ihm, uns ad metalla, in die Bergwerke, zu verkaufen, können wir uns nicht wehren. Unser Leben besteht, von den wenigen Sklavenfeiertagen abgesehen, aus Arbeit und Demütigung, aus Demütigung und Arbeit. Wir leben nicht wie ihr für die Zukunft, unsere Hoffnungen sind in die Wolken gerichtet, und viele treffen sogar Vorkehrungen für ein Leben nach dem Tode.«
»Wer im Dreck liegt, kann gut in die Wolken schauen«, sagte Vitellius.
»Du hast ihn sterben sehen?« fragte Rebecca unvermittelt. Vitellius schüttelte den Kopf. »Aber du weißt mehr, als du mir erzählst. Ich will die ganze Wahrheit wissen.« Rebecca sah ihn bittend an. Der Junge senkte den Blick. »Bitte«, sagte Rebecca, »ich kann die Wahrheit ertragen.«
»Ich habe dich belogen, als ich dir sagte, daß dein Vater keine Angst gehabt hätte. Er machte bei der Cena libera einen verstörten Eindruck und weinte«, sagte Vitellius. »Deshalb machte ich mich schon am Morgen auf den Weg zum Circus, fand aber keinen Einlaß mehr. Die Türsteher verwehrten mir den Zutritt, weil die Ränge bereits überfüllt waren. Ich glaube, die Römer streben schon um Mitternacht zum Circus. Aber ich wollte unbedingt Gewißheit haben, denn ich ahnte nichts Gutes. Ich begab mich dann zu einer der Menschentrauben, die sich um die Wettbüros unter den Arkaden des Circus bildeten. Um die Mittagsstunde rief der Buchmacher: ›Kampf 16 – Retiarier Pugnax gegen Retiarier Verritus – Sieger Pugnax – Verritus erstochen.‹ Zuerst war ich wie gelähmt. Dann wollte ich auf die johlenden Schreihälse einschlagen, sie anbrüllen, daß da zum Gaudium der Massen ein Mensch umgebracht wurde, der das Leben genauso geliebt hat wie sie, aber da wurde schon ein weiteres Ergebnis verkündet. An der Porta libitinensis, dem Tor im Circus, durch das die getöteten Gladiatoren herausgetragen werden, habe ich dann seine Leiche gesehen, Einstiche an beiden Oberschenkeln, ein Auge aufgequollen und blutverkrustet und im Bauch eine tiefe, klaffende Wunde.«
»Hör auf!« schrie Rebecca, drehte sich um, schlug den Unterarm vor die Augen und lehnte sich schluchzend an die Sockelmauer des Standbildes. Schauer von Schmerz schüttelten den kleinen Körper. Vitellius strich Rebecca über das Haar. »Verzeih!« sagte er, »aber ich dachte, du wolltest die ganze Wahrheit erfahren.«
»Die Wahrheit ist grausam«, stammelte Rebecca, »zu grausam.«
Vitellius legte seine Hand auf Rebeccas Schulter. »Ich möchte dir helfen, dein schweres Los zu ertragen«, sagte er. »Zwar kann ich dir den Vater nicht ersetzen, aber ich möchte dir ein Freund sein – wenn du willst …«
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen. Ein Trupp von vier wie Gladiatoren gekleideten Männern bahnte sich lautstark einen Weg durch die Volksmenge und stieß Männer und Frauen rücksichtslos zur Seite, die ihnen im Wege standen.
Dabei rief einer von ihnen in die Menge: »Hat jemand einen jungen Bononier gesehen, ein Bononier namens Vitellius wird gesucht!«
Vitellius erschrak. Was hatte das zu bedeuten? Auch Rebecca ahnte nichts Gutes. Sie faßte den Jungen an der Hand. Beide sahen sich an. Einen Augenblick dachten wohl beide das gleiche: weglaufen. Doch dann wurde ihnen sehr schnell bewußt, daß sie sich damit nur verdächtig machen würden.
»Ein Vitellius aus Bononia wird gesucht!« Die vier kamen immer näher, Menschen stoben auseinander, jetzt gingen sie geradewegs auf Vitellius zu. Der stand wie angewurzelt da, starrte dem ersten Gladiator ins Gesicht und sagte schließlich: »Ich bin Vitellius aus Bononia.«
»Vitellius aus Bononia?« fragte der erste zurück und drehte sich um, ohne die Antwort abzuwarten. »Heda, Männer, wir haben ihn!«
Die anderen drei kamen angelaufen, einer trat an Vitellius heran, drehte ihm den rechten Arm auf den Rücken und rief: »Vorwärts!«
»Was wollt ihr von mir?« Vitellius versuchte, sich zu wehren. »Ich bin mir keiner Schuld bewußt.« Er warf einen hilfesuchenden Blick zu Rebecca, dann wurde er weggestoßen, und das Mädchen entschwand seinen Blicken. Die Gladiatoren riefen: »Vorwärts, vorwärts!«
»Es besteht kein Zweifel«, sagte Messalina, »der Kaiser ist beim Volk beliebter als je zuvor. Der Bau der neuen Wasserleitung von den simbruinischen Hügeln, das Gesetz gegen die Zügellosigkeit der Geldverleiher,
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