Der goldene Buddha
er die für ihn günstigste Stelle erreicht hatte, griff er unter sein Gewand, reckte sich, und ich sah zwischen seinen Fingern den großen roten Stein, den er in die rechte Augenhöhle legte.
Der Stein blieb darin.
Mit der linken Augenhöhle geschah das gleiche. Auch hier hielt der Stein. Der goldene Buddha hatte das zurückerhalten, was ihm gehörte.
Durch diese Steine konnte man in die Hölle schauen, so die Legende.
Ich glaubte ihr, denn sonst wären nicht so viele Menschen gestorben.
Zuletzt der Erhabene Tai Pe, der seine Wahlheimat England nie wiedersehen würde.
Und wir?
Würden Suko und ich jemals wieder Londoner Pflaster unter unseren Füßen spüren, oder würde man uns in den Gräbern auf dem Innenhof des einsamen Klosters im Himalaya elendig verscharren?
Letzteres war gar nicht so weit hergeholt. Es konnte durchaus sein, dass wir in dieser Tempelhalle starben.
Der Gedanke daran machte mir große Angst, doch ich überwand sie und konzentrierte mich auf die Gegenwart.
Der Mönch, der dem Buddha die Augen eingesetzt hatte, stieg wieder herab. Dabei richtete er seine Blicke voll auf mich, dann sprang er zu Boden.
Vor mir blieb er stehen, drehte sich etwas und deutete auf den Kopf der Figur. Er sprach einige kehlige Worte, dann schüttelte er drohend die Faust und deutete wieder auf die riesige Statue.
Ich überlegte, was er damit wohl meinte. Und dann fiel bei mir endlich die Klappe. Auf einmal wusste ich, warum die Mönche bei ihrem Angriff gegen mich nicht die Dolche genommen und mich niedergestochen hatten.
Das Töten wollten sie diesmal einem anderen überlassen. Dem goldenen Buddha.
Und wie er das anstellte, das hatte ich bei Tai Pe gesehen. Mit seinen gewaltigen Kräften konnte er einen Menschen zermalmen. Mir wurde angst und bange, wenn ich daran dachte, denn in der Hand des Buddha war ich wirklich nicht mehr als ein Spielzeug. Er würde mich zerquetschen.
Sein Diener deutete immer wieder auf die Figur und gestikulierte mit beiden Händen.
Ein anderer holte inzwischen ein Tongefäß. Er trat vor die Räucherschalen und versenkte seine Hand in das Gefäß. Als er sie wieder herauszog, stäubte er ein grauweißes Mehl in die Schalen.
Sofort verdichtete sich der Rauch, der widerliche Geruch nahm zu, und die Augen des Buddha, obwohl gerade erst eingesetzt, begannen sich zu bewegen.
Sie rollten in den Höhlen, schauten mich an, und ich zuckte unter dem Blick zusammen.
Dann bewegten sich seine Arme.
Ein unheilvolles Ächzen durchdrang die Figur, als würde es ihr schwerfallen, sich überhaupt zu rühren. Langsam, unendlich langsam schob er die Arme nach rechts und links auseinander. Der Totenschädel rollte dabei von seiner Handfläche und fiel zu Boden. Er zerbrach nicht. Einer der Diener hob ihn vorsichtig auf und legte ihn vor die Beine der lebenden Statue.
Der Buddha hatte seine Arme halb erhoben. Die Handflächen waren nach außen gekehrt - ich schaute gegen sie.
Gold, nur Gold, reines, edles Metall, für das schon Tausende von Menschen gestorben waren. Hier war es eine dämonische Verbindung mit dem Buddha eingegangen.
Suko hatte mir die Geschichte des goldenen Buddha erzählt, wie er sie von den anderen Mönchen gehört hatte. Ich wusste, dass dieser Buddha nur auf die reine Vernichtung programmiert war, und ich hatte es selbst erlebt.
Nun sollte ich sein Opfer werden!
Riesengroß und gewaltig kam mir die Statue vor. Dreimal die Größe eines Menschen erreichte sie. Zwischen ihrem Kopf und der Tempeldecke befand sich kein großer Zwischenraum mehr.
Der Buddha neigte den Schädel. Von einem Kopf konnte man bei ihm nicht mehr sprechen. Dabei zuckten plötzlich Strahlen aus den Augen. Grüne Flammen, die mich nur haarscharf verfehlten, aber ihr eigenes Ziel erreichten.
Den Totenschädel!
Er zersprang mit einem lauten Knall. Die Teile platzten nach allen Seiten weg. Ein paar Splitter trafen auch mich. Als der Schädel zerstört war, verschwanden auch die grünen Strahlen. Sie zuckten zurück in die Augen des Buddha.
Für einen Moment blieb es still. Ich hatte durch die vergangene Aktion des Buddha Hoffnung geschöpft, sah mich aber getäuscht, denn genau das Gegenteil trat ein.
Die Diener des goldenen Buddha stießen Jubelschreie aus. Die beiden, die mich nicht festzuhalten brauchten, tanzten und klatschten in die Hände.
Die anderen vier stampften mit den Füßen.
Was war geschehen? Warum dieser Freudenausbruch? Ich wusste es nicht, aber für mich hatte sich nichts
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