Der große Stier
hineinlachte.
»Komisch, wie?« fand Paul. »Sie jagen deinem Hintern nach!«
»Den können sie haben. Beide Backen. Das heißt, ich kann sechsundzwanzig Wochen lang Arbeitslosengeld beziehen.«
»Kann ich eine kleine, grüne, dreieckige Pille haben?«
Jerry lachte wieder, langte in seinen Schreibtisch und nahm eine kleine Kugel weißen Lehm heraus. Er rollte sie zwischen seinen Handflächen und bot sie dann Paul an.
»Was soll ich damit machen – es essen?«
Jerry preßte seine Hand an die Nase und atmete tief ein. »Reibe es nur mit deinen Händen und rieche dran.«
»Du hast andre Gedanken als an das Wasser von deinen künstlichen Blumen«, sagte Paul und rieb den Lehm zwischen seinen Handflächen. »Was ist das für ein Zeug? Woher hast du das?«
»Ich bin gestern abend zum Reservat rübergefahren, um mit den Indianern Peyote zu nehmen. Aber sie benutzten alle diesen weißen Lehm. Dies Stück habe ich für fünf Dollar gekauft.«
Paul hielt die Hände an die Nase und schnupperte. Zuerst roch er nur das Aprikosen-Aroma der Aftershave Lotion, die er benutzt hatte. Aber dann wehte ein neuer Duft, ein Aroma noch reiner als Sauerstoff, durch seine Nasenlöcher hoch und küßte die Innenseite seiner Augen. Seine Kopfschmerzen verflogen, seine Nackenmuskeln lösten sich, sein Geist schwamm mühelos durch Wogen reinen Entzückens.
Eine einzige, selbstsüchtige Sekunde lang dachte er daran, die Lehmkugel in die Tasche zu stecken, doch er rollte sie statt dessen über das Löschblatt zu Jerry hin, der schließlich ein nobler Kerl war. Ein einzigartiger Mensch. Ein fabelhaft guter Texter. Ein wirklich wunderbarer –
»Wie ist dir jetzt zumute?« fragte Jerry.
»Mit beiden Köpfen«, sagte Paul. Er drehte sich um und glitt ruhig aus dem Raum.
Drei Stunden lang hämmerte Paul auf seiner Schreibmaschine. Die Sätze tanzten heiter in seinem Geist, die Abschnitte strömten von seinen Fingerspitzen.
Mittags aß er das beste Schinken-Sandwich und trank die beste Tasse Kaffee, die er jemals genossen hatte.
Der Nachmittag brachte lebendige Telefongespräche, interessante und aufschlußreiche Besprechungen. Und der wenig bekannte, aber furchtlose Zugang von Sausalito her ergab einen neuen Laufrekord für den Weg bis zur Bushaltestelle am Fährhaus.
Erst als er die dreiunddreißig Steinstufen hinaufstieg und die Tür zu seinem Apartment aufschloß, kehrte sein Zeitbewußtsein zurück. Er roch schalen Tabakrauch, und die Zunge in seinem Munde hatte einen üblen Geschmack. Er erinnerte sich jetzt daran, wie er in hektischer Eile von Crimps Hausboot bis zu seinem Apartment geklettert war, um seine Kleidung zu wechseln, wie er dann zum Autobus gerannt war und nachher vom Fährhaus zur Herrentoilette von G., F. & M …
Er roch an beiden Handflächen. Feuchtes Salz. Was auch immer in dem weißen Lehm gewesen war, den Jerry ihm gegeben hatte – es war verbraucht.
Er goß sich ein Glas gekühlten Weißwein ein. Der Wein schmeckte sauer.
Der Speck, den er sich briet, war Gummi, die Eier tropften und glitten ihm durch die Gabel.
Er zündete sich eine Zigarette an, füllte sein Weinglas von neuem und fing an, zwischen Bett und Schreibtisch hin und her zu gehen.
Er sah aus dem Fenster auf den flimmernden Schein farbiger Lichter am Abhang. Kleine blaue Würfel von tausend Fernsehgeräten. Haustürleuchten, die gelb waren, um die Wanzen zu verscheuchen. Leuchtturmlampen, die rot waren, um die Flugzeuge zu verscheuchen. Straßenbeleuchtung blendend weiß, um die Leute zu verscheuchen.
Er erinnerte sich an die Musik von Stier. Nicht zum Anhören, wenn man unter dem Einfluß von Alkohol und Marihuana stand. Crimp hatte sich mit Kate im Badezimmer eingeschlossen. Furbish und Rachel hatten auf den Kissen alles angestellt, außer ein Kind zu machen. Oder träumte er das?
Das Telefon läutete dreimal, eh er dranging.
»Hallo?«
»Du fehlst mir.«
»Hallo, Beebee …«
»Kann ich rüberkommen?«
»Heute abend?«
»Ich möchte gern ein neues Spiel ausprobieren, von dem ich heute gehört habe.«
Paul hatte Visionen von Gewehrkugeln, die in Patronenkammern eingedreht waren, von zwischen die Zähne geklemmten Rasierklingen, von unbekannten tödlichen Dingen, die nur eine Vierzehnjährige erfinden würde.
»Ich muß ein Weilchen rausgehen, Beebee.«
»Kann ich dich im ›Cat and Fiddle‹ treffen?«
»Nein. Die Polizei ist hinter Sorkin her, weil du noch ein Kind bist. Warum … kommst du nicht rüber und wartest hier auf
Weitere Kostenlose Bücher