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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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stürzen; man hat
    entdeckt, dass ein Schlafwagen oder ein Hotelzimmer kein idealer
    Rahmen für die ersten Stunden dieser Einsamkeit zu zweit sind. Das
    Ehepaar bleibt lieber die ersten Tage seiner »Flucht« in ihrer neuen
    Wohnung oder im Hause von Freunden, die die gute Idee hatten, ihnen
    auf dem Land ihr Häuschen für die Flitterwochen mit einem tüchtigen
    Dienstboten zu überlassen.
    Auch wenn man weiss, wo das Versteck ist, wird niemand sie stören;
    auch die Mutter wird nicht beim Morgengrauen erscheinen, um sich zu
    informieren. Es gibt nichts zu erfahren. Es schickt sich auch nicht, am
    Tag nach seiner Hochzeit wieder im Büro bei der üblichen
    Beschäftigung zu erscheinen. Man schwätzt darüber und deutet es
    bestimmt in dem Sinn, dass die jungen Leute dem Ereignis nicht viel
    Bedeutung beilegen. Vielleicht sind sie Schüler des bekannten
    amerikanischen Essayisten Emmer-son, in dessen Leben Frauen keine
    grosse Rolle spielten, und der seiner Frau in seinem Tagebuch nur eine
    Zeile widmete. Sie lautete ungefähr: »Heute habe ich Fräulein soundso
    geheiratet.« Ohne Kommentar.
    Es ist ein Irrtum auf eine Hochzeitsreise zu verzichten. Ohne eine
    Weltreise gemacht zu haben, kann man glückliche Erinnerungen
    zurückbringen, und es ist so angenehm den alltäglichen Leuten und
    der gewohnten Umgebung ein paar Tage zu entfliehen.
    DIE VERMÄHLUNGSKARTE.
    Die Vermählungskarte soll nicht mit einer Einladung zur Messe
    verwechselt werden, obwohl der Text ungefähr der gleiche ist. Wenn
    die Hochzeit im engsten Familienkreis gefeiert wurde, wird die
    Vermählungskarte einige Tage nach der Hochzeit versandt. Sie wird an
    die Leute geschickt, die man nicht in der Kirche sehen oder zu einem
    Geschenk und Blumen verpflichten wollte. Man beantwortet diese
    nachträgliche Vermählungsanzeige mit einer Visitenkarte.
    WIEDERVERHEIRATUNG.
    Wenn ein Witwer oder eine Witwe sich wieder verheiraten, werden
    sie der Zeremonie wenig Glanz geben. Man veranstaltet keinen Ball,
    aber man heiratet auch nicht im Traueranzug. Die Kinder aus erster
    Ehe wohnen dem Hochzeitsessen bei. Sie sollen nicht abseits stehen,
    sondern im Gegenteil den neuen Verwandten so gut wie möglich
    empfangen. Es ist die Pflicht der Eltern, den Kindern die Lage so
    geschickt wie möglich zu erklären, sie sollen nicht im Zweifel über die
    Rolle sein, die das neue Familienmitglied spielen wird. Man soll nicht
    sagen, dass sie das erst später verstehen werden. Es ist viel wichtiger,
    was sie heute verstehen oder zu verstehen glauben. Welches auch das
    Alter des Kindes sei, es braucht Erklärungen. Man soll vermeiden, dass
    es eine falsche Vorstellung gewinnt, die ihm Leid bringt und Komplexe
    schafft. Wenn das Kind nicht mehr so jung ist, dass der neue Eltern-teil
    den Platz des Verstorbenen einnimmt, ist es wichtig, einen vertrauten
    Namen zu finden, den das Kind von nun an zum neuen Vater oder zur
    neuen Mutter sagt. Der Wiederverheiratete trägt von dem Tage der
    Hochzeit an nicht mehr den Ehering des Verstorbenen.
    DIE SCHEIDUNG.
    Von allen Ereignissen des Lebens ist die Scheidung in den letzten
    Jahren am meisten in Mode gekommen. In Amerika ist San Reno die
    Scheidungsstadt für die Millionäre. Sie bezeichnet sich selbst als die
    grösste kleine Stadt der Welt, wo man sich besonders gut amüsiert. In
    San Reno ist für diese verrückten Menschen eine Scheidung ein
    glückliches Ereignis. Man singt das Loblied der wiedergewonnenen
    Freiheit, ehe man sie schnell und mit genau so wenig Ueberlegung wie
    das erstemal wieder aufgibt. In San Reno wirft man nach der
    Scheidung von einer Brücke die Trauringe ins Wasser. Auf dieser
    Brücke treffen sich die verschiedensten Geschiedenen — und sogleich
    beginnt ein neuer Liebesroman. Die Scheidung wird nur als der
    Anfang eines neuen Glücks betrachtet. Es gibt Scheidungsessen, bei
    dem sich die geschiedenen Ehegatten als die besten Freunde der Welt
    trennen, besonders wenn die Unterhaltsumme, die der Dame
    zugesprochen wurde, erheblich genug war.
    Wir raten nicht dazu, dieses Beispiel nachzuahmen, aber wir können
    auch nur schwer diese unglücklichen Eheleute bewundern, die ihre
    Nachbarschaft zum Zeugen ihrer lärmenden Unverträglichkeiten
    machen. Ihr gemeinsames Leben kann unmöglich weitergehen, eher im
    Interesse der anderen Mieter des Hauses als in ihrem eigenen. Man
    muss nicht die bedauerliche Lösung einer Scheidung mit frohem
    Herzen annehmen, aber es ist besser, sich zu einer Trennung

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