Der hellste Stern am Himmel
geglaubt, er sei schwul.
FÜNFUNDZWANZIG TAGE …
»Warum hast du keinen Freund?«, fragte Conall in das Schweigen hinein.
Sie hatten schweigend im Bett gelegen, ein Bein hatte er über Lydias Beine gelegt, so dass sein Gewicht sie auf die Matratze drückte. Lydia war wortlos glücklich – kein Wunder: Das Bett war so großartig wie der Sex.
»Wieso glaubst du, dass ich keinen habe?«
»Wir hätten das hier nicht gemacht, wenn du einen hättest, oder?«
»Sind das die Regeln?« Selbst in ihren eigenen Ohren klang sie leicht beleidigt. Obwohl Gilbert ihr herzlich gleichgültig war – und es war wirklich so –, war ihr Stolz noch etwas verletzt: Wer hätte gedacht, dass er es mit anderen trieb?
»Was meinst du?« Conalls Interesse war geweckt.
»Bis vor ungefähr einem Monat hatte ich einen Freund.«
»Aber?«
»Aber dann habe ich versehentlich mit meinem Mitbewohner geschlafen.«
»Wie bitte?« Conall setzte sich auf, so überrascht war er.
»Ja, ich habe versehentlich mit meinem Mitbewohner geschlafen.«
»Wie oft? Nur das eine Mal?«
»Nur das eine Mal. Abgesehen von ein paar anderen Malen. Irgendwie war der Schaden schon angerichtet. Da war es egal. Verstehst du?«
Conall sah kein bisschen glücklich aus.
»Schläfst du immer noch mit ihm?«
»Also, im Moment nicht, das ist ja klar.«
Als Conall keine Anstalten machte zu lächeln, sagte sie: »Ich schlafe überhaupt nicht mit ihm.«
Er nickte. Das schien ihn zufriedenzustellen.
»Außer, wenn es passiert.« Lydia dachte, das sollte sie besser hinzufügen.
»Wovon redest du?«
»Manchmal passiert es einfach. Wenn ich ihn in der Küche treffe …« Sie zuckte die Achseln. »Oder im Wohnzimmer. So ungefähr.«
»Wie oft ist das passiert?«
»Vier Mal.«
»Vier Mal?«
»Ich glaube, vier Mal. Vielleicht ein bisschen öfter.« Nach dem neunten Mal hatte sie aufgehört zu zählen.
»Dann ist er dein Freund.«
Lydia lachte. »Du solltest dich mal hören, du klingst wie ein besitzergreifender …« Sie suchte in ihrem Kopf nach dem Wort mit der angemessen Menge Verachtung.
»… wie ein Mädchen. Er ist nicht mein Freund. Wir reden nicht groß. Wir mögen uns nicht einmal. Eigentlich so wie wir beide.«
»Aber ich mag dich.«
»Na gut, aber ich mag dich nicht.« Obwohl das nicht mehr ganz zutraf.
»Als wir gerade miteinander geschlafen haben, war das so wie mit dir und … wie heißt der andere?«
»Andrej.« Nein. Nichts kam an Sex mit Andrej heran. »Hör zu, Conall. Andrej und ich, das ist nicht das wirkliche Leben.«
»Es übertrifft alles, ja?«, sagte Conall.
Sie wartete mit der Antwort, denn sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Aber warum sollte sie lügen? »Also, ja. Aber ich mag ihn nicht. Es ist nichts. Nichts«, wiederholte sie. »Lass uns schlafen. Ich muss früh aufstehen.«
»Ich auch.«
»Wie früh?«
Er musterte sie. »Halb sechs. Ich muss nach Mailand.«
»So spät? Mann, da habe ich schon den halben Arbeitstag hinter mir. Was machst du in Mailand?«
»Ich regle die Übernahme einer Firma.«
»Manche haben’s leicht.«
»Mailand ist die erste Station. Danach fliege ich weiter nach Malaysia.«
»Noch eine Übernahme?«
»Dieselbe Firma. Der Hauptsitz ist in Mailand, aber die meisten Aktivitäten finden in Südostasien statt.« Er machte sich auf eine Flut bohrender Fragen gefasst: Wie
lange würde er wegbleiben? Wann käme er zurück? Wie sollte sie die Zeit seiner Abwesenheit aushalten?
»Conall?«
»Mmmm?« Jetzt ging es los.
»Wie schaltet man dieses dumme Licht aus?«
»… Eh … klatsch zweimal in die Hände.«
»Nein. Ich komme mir blöd vor. Mach du das.«
Conall klatschte in die Hände, und es wurde dunkel.
»Darf ich noch was sagen?«, fragte Lydia in die Dunkelheit.
»Was?«
»Ach, nichts. Nur, du hast ziemlich blöd ausgesehen, so nackt auf dem Bett, und dann klatschst du in die Hände.«
»Gute Nacht.«
Wunderbarer Stoff, dachte Lydia und strich immer wieder über den Bezug. So kühl und glatt und schön unter der Hand. Und so viel Platz, um alle meine Arme und alle meine Beine auszustrecken, und diese schönen, weichen Kissen, so viele –
»Wie alt ist er?« Conalls Stimme unterbrach ihre Schwelgerei.
»Wer – ach, Andrej. Weiß nicht.«
»In den Zwanzigern? Dreißigern?«
»Zwanzigern. Siebenundzwanzig, könnte sein. Jetzt schlaf.«
»Was macht er beruflich?«
»Irgendwas mit Computern. Repariert sie oder so. Keine Ahnung. Wie gesagt, wir sprechen nicht
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