Der hellste Stern am Himmel
Neue im Chill-Room ein Brainstorming-Tischtennis-Match lieferten oder in der Schlange vor
dem Müsli anstanden, das es kostenlos zum Frühstück gab. Man konnte kaum auf dem Laufenden bleiben.
Mit ihrer freundlichen und positiven Einstellung und ihrem wohlklingenden Akzent war Maeve bei ihren Kollegen beliebt, aber in Matts Wahrnehmung hatte sie immer noch keine bedeutenden Spuren hinterlassen – bis zu dem Abend, als Matt und Nat gemeinsam aus dem Gebäude kamen. Mit klackenden Absätzen und wehenden Jacketts kamen sie den funkelnden Marmorflur entlang, ihre schwarzen Lederschuhe glänzten – der Stoßtrupp vom Verkauf. In perfekter Harmonie stießen sie die Schwingtüren von Goliath auf, jeder eine, und kamen an Maeve vorbei, die vor ihrem Fahrrad hockte und es aufschloss.
»Nacht, Leute«, sagte sie.
Absolut synchron schwangen Matt und Nat ihre glatten, vollkommen geformten Köpfe herum, um zu sehen, wer gesprochen hatte, und brachen im gleichen Moment in fröhliches Gelächter aus.
»Was ist?«, fragte Maeve, doch dann dämmerte es ihr, und ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. »Meine Mütze?«
»Ja!«
Maeve trug eine helmartige Strickmütze mit einem orange-rosa Inkamuster. Ohrenklappen bedeckten ihre Ohren, Wollzöpfe fielen ihr vorn auf die Brust, und oben lief die Mütze spitz zu mit einem Bommel drauf.
»Ist sie ganz und gar unmöglich?«
»Ganz und gar«, sagte Nat.
»Aber auf dem Machu-Picchu-Trail ist es der letzte Schrei, außerdem hält sie meine Ohren warm.« Darauf
mussten sie alle drei noch mehr lachen. Dann befreite Maeve mit metallischem Klirren das Fahrrad von der Kette, sprang in den Sattel und fuhr schwungvoll und geschmeidig auf die belebte Straße hinaus.
»Sie ist süß«, seufzte Nat. »Wie findest du das mit ihr und David? Meinst du, es ist von Dauer?«
Matt hatte keine Ahnung. Bis vor fünf Minuten hatte er Maeve kaum bemerkt, und dass sie mit David zusammen war, wusste er schon gar nicht.
»Sie haben so viel gemeinsam«, sagte Nat lächelnd. »Sie sind beide aus Galway.«
(Eigentlich war David aus Manchester, aber man musste nicht aus Galway sein, um als »Einer aus Galway« zu gelten, was eine Art Oberbegriff für Menschen war, die Falafels, flauschige Pullover und Festivals mochten – Musikfestivals, klar, aber auch Comedy-, Lyrik-, Bierfestivals … alles zählte. Solange es mit Schlamm und Bier zu tun hatte, war es ideal. Und wenn das Festival mit einer Demonstration verbunden werden konnte – umso besser. Für »Einen aus Galway« bestand das perfekte Wochenende, sozusagen sein Utopia, darin, bei einem Antiglobalisierungsmarsch mitzumachen, von der Polizei verprügelt zu werden und zusammen mit einer Dreierbande von Demonstranten des harten Kerns aus Genua in eine Arrestzelle geworfen zu werden. »Die aus Galway« waren Entbehrung gewöhnt, sie schliefen bei ihren Freunden auf dem harten kalten Fußboden wie Babys und waren stolz darauf, Iren zu sein – auch wenn sie eigentlich keine Iren waren –, und ließen manch irisches Wort in ihre Unterhaltung einfließen. Viele Mitarbeiter von Goliaths multikultureller Belegschaft beherrschten
die Grundzüge der Sprache von Galway. Ein beliebter Satz war: »Egg choct egg oal?«, was übersetzt bedeutete: »Gehen wir noch einen trinken?«)
Zufällig war Matt in dem Moment viel mehr an David interessiert als an Maeve.
»Ich hätte David liebend gern in meinem Team«, sagte er nachdenklich.
»Das gilt für mich genauso«, sagte Natalie.
David war in Godrics Team und Godrics wertvollste Errungenschaft. Er war hochintelligent, ein mathematisches Genie, und konnte auch die heikelsten Probleme entwirren. Er war hartnäckig, ließ nichts unversucht und probierte so lange, bis er die Verwirrung entflochten und eine Anlage so installiert hatte, dass sie funktionierte.
»David könnte selbst ein Team leiten, wenn er wollte«, sagte Matt.
David war wahrscheinlich älter als die meisten bei Goliath, nur wenige Jahre älter, aber doch so viel, dass man in ihm einen natürlichen Anführer sah. Trotzdem widerstand er allen Versuchen, die ihn in Richtung Management steuern wollten.
»Warum, meinst du, ist er so dagegen?«, fragte Matt.
»Vielleicht will er sich nicht festlegen.«
David hatte schon sehr viel in seinen dreißig Lebensjahren gemacht. Er war durch die ganze Welt gereist und hatte die verschiedensten Jobs gehabt, eine beeindruckende Bandbreite, hatte in Guyana Physik unterrichtet und war Hauslehrer für drei
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