Der Herr der Falken - Schlucht
gemeine, bösartige ...«
»Von Sira ist jetzt nicht die Rede«, unterbrach der König sie barsch, am Ende seiner Geduld.
Chessa änderte ihre Taktik und legte ihre Hand in die seine, so wie sie es als Kind getan hatte, als er ihr Beschützer, ihr Held, ihr ein und alles war. »Papa, bitte schick mich nicht fort. Ich verspreche dir, freundlicher zu Sira zu sein. Ich nehme die Prinzen auch nicht mehr mit zum Fischen an den Fluß. Ich werde sittsam und artig sein.«
Sitric mußte lachen. »Du versprichst mir Dinge, die du nicht halten kannst, mein Schatz. Hör zu, Chessa. Du bist eine erwachsene Frau. Es ist Zeit für dich zu heiraten und das Elternhaus zu verlassen. Wilhelm ist ein guter Mann, das hat Cleve mir versichert. Ich habe ihn genau befragt. Wilhelm wird gut zu dir sein.«
Und damit war das Thema erledigt, dachte Chessa und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dies war vermutlich ihr letzter Tag in Freiheit. Ihre Dienerin packte bereits die große Truhe mit Hemden aus feinem Leinen und Kleidern aus krapprot gefärbter Wolle. Dazu das goldgelbe Festgewand, das mit einer Flechte gefärbt war, die nur in den Affernsümpfen gedieh. Ihr Vater hatte ihr ein scharlachrotes, mit kostbarer Seidenstickerei versehenes Kleid geschenkt, dessen Tuch von einer seltenen Orchideenart gefärbt war. Dazu besaß sie viele Spangen und Broschen, zierliche Ohrringe aus Silber, Gold und Elfenbein, goldene Halsketten und eine Kette aus bunten Perlen, die ein Geschenk eines Ministers des Königs war. Sie war eine Prinzessin und würde zu diesem Wilhelm reisen, prachtvoll ausgestattet, wie es einer Prinzessin gebührte.
Sie schmunzelte. Sie stand mit nackten, schmutzigen Füßen knöcheltief im Wasser. Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht, das voller Lehmspritzer war, und ihre Hände sahen ebenso schmutzig wie ihre Füße aus. Das braune Kleid hatte sie hochgebunden, um im seichten Wasser waten zu können.
Könnte dieser Wilhelm sie so sehen, würde er vermutlich auf seinen königlichen Absätzen kehrtmachen und das Weite suchen.
Ob Cleve sich in Rouen aufhielt? Sie dachte häufig an ihn. Und sie hatte noch immer nicht herausgefunden, wer ihm damals nach dem Leben trachtete und aus welchem Grund.
Sie richtete sich auf, streckte sich und blickte zur Stadt hinüber. Die ebenerdigen Holzbauten standen dichtgedrängt, vielfach waren sie durch hölzerne Gehsteige verbunden, da die Wege durch den häufigen Regen aufweichten und man sonst knöcheltief im Matsch watete. Der Befestigungswall bestand aus mächtigen, in den Boden getriebenen Eichenpfählen, die von Hanfseilen fest miteinander verzurrt waren. Dublin war ein Handelszentrum, das von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewann. Das wiederum bedeutete, daß auch die Anzahl der Feinde stieg, die die Stadt einnehmen und ihren Vater stürzen wollten. Viele irische Häuptlinge waren nicht bereit, die Herrschaft der Wikinger zu akzeptieren und zogen brandschatzend und raubend durchs Land.
Seufzend machte sie sich auf den Rückweg in den Palast. Am Abend sollte ein festliches Bankett stattfinden, um den Abschied der Prinzessin zu feiern. Sira war mit Sicherheit froh, sie endlich loszusein, obwohl sie dem König hysterische Szenen gemacht hatte, um zu verhindern, daß er seine Zustimmung zur Hochzeit gab. Die einzige Erklärung war wohl, daß Sira um keinen Preis zulassen wollte, daß ihre Stieftochter eine ranghöhere Position einnahm als sie.
Chessa raffte die Röcke und watete durch das Schilf. Wind war aufgekommen. Die alten, knorrigen Weiden am Flußufer wiegten sich leise wispernd in der Brise. Bald würde es regnen. Über der irischen See ballten sich schwarze Wolkenmassen zusammen, die rasch heranrückten. Es würde einen heftigen Sturm geben.
Sie raffte die Röcke noch höher und fing an zu laufen. Unterwegs löste sich ein Rockzipfel, und sie bückte sich, um ihn wieder hochzubinden, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Sie fuhr herum und sah sich einem großen, kräftigen Mann gegenüber. Er lächelte.
Sie zwang sich zur Ruhe. »Wer bist du?«
»Ich heiße Kerek. Seid Ihr Prinzessin Chessa?«
»Warum fragst du?« Sie musterte den kräftigen Mann mit dem roten, von grauen Strähnen durchzogenen Haarschopf.
»Ja. Ihr seid es.« Er trat einen Schritt auf sie zu, während er sie immer noch anlächelte. Sie versuchte, ihm seitlich auszuweichen. Er packte ihren Arm, riß sie herum und zog sie an sich.
Sie hatte ihr Messer nicht bei sich.
Sie zwang sich, ruhig zu
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