Der Herr der Falken - Schlucht
der Habichtsinsel. Sie ißt, weil ich ihr hoch und heilig versprochen habe, dich zurückzubringen. Sie zählt nicht einmal Holzstöckchen.«
Sie sank abermals an seine Brust und spürte enorm große Brüste. Er lachte und schob sie von sich. »Verschmier mir nicht die Schminke. Ragnor ist verschossen in meine Schönheit. Laß die Umarmung. Du verschiebst meine Brüste.«
»Wenn du mich befreit hast, Cleve, machst du mich dann schwanger? Ich meine wirklich schwanger? Ich bin schon nahe dran, die Väter dieses nicht vorhandenen Kindes durcheinanderzubringen.«
»Ich muß wohl. Die Götter wissen, welch armen Kerl du dir sonst als nächstes Opfer aussuchst.« Er wünschte, ihr Gesicht sehen zu können. Sie spürte seine Finger, wie sie ihren Mund berührten, ihre Wange, ihre Nase. Sie wünschte sich sehnlichst, ihn küssen zu dürfen. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Ohr, als er flüsterte: »Ich bin froh, daß Ragnor dir keine Gewalt angetan hat. Eine Frau, die von einem Mann mit Gewalt genommen wurde, ist beim nächsten Mann im Bett gehemmt, auch wenn sie glaubt, ihn zu begehren.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe es gesehen. Vergiß nicht, ich war fünfzehn Jahre Sklave. Ich habe viel Leid gesehen.«
»Aber jetzt wird alles anders. Jetzt hast du mich.«
»Scheint so«, lachte er, tätschelte ihre Wange und erhob sich. »Schlaf jetzt und unternimm nichts auf eigene Faust. Ich habe keine Lust, Brandherde hinter dir löschen, die du entfacht hast. Ich entscheide, was wir tun. Gehorche mir, Chessa, oder du stürzt dich ins Unglück.«
Alle behandelten sie mit großer Ehrerbietung, auch der Wachtposten, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. In zwei Tagen sollte sie Ragnor heiraten. Isla flirtete heftig mit Ragnor und gab ihm reichlich Met zu trinken.
Cleve hatte befohlen, alle weiteren Schritte ihm zu überlassen. Warum? Sie war weder dumm noch zimperlich. Ein ganzer Tag verstrich und nichts passierte. Sie mußte etwas unternehmen. Wenn sie sich retten konnte, würde es ihr auch gelingen, Cleve zu retten. Trällernd begab sie sich zum Gemach der Königin, die sie gerufen hatte.
Es war kurz vor Einbruch der Nacht, im letzten Licht der Abenddämmerung. Der Garten hatte seinen Glanz, seine bunte Pracht verloren. Tiefe Schatten krochen aus den Winkeln. Sträucher und Stauden wirkten wie bedrohliche dunkle Gestalten.
Die Stimme der Königin holte sie aus ihrer Beklommenheit. »Du bist du ja endlich, Chessa. Komm und setz dich. Wir wollen die Abendstille genießen. Später werde ich gemeinsam mit dem König, dir und Ragnor speisen. Der König soll sich unzufrieden über die Dienerin zu seiner Linken geäußert haben, die versäumte, eine Speise vorzukosten. Man hätte ihn vergiften können. Ich möchte verhindern, daß er sie bestraft. Nun setz dich, mein Kind.«
»Ich bin kein Kind, und ich gehöre nicht Euch.«
»Bald gehörst du mir. Du wirst lernen, daß das Leben dir nicht immer das gibt, was du erwartest. Sieh mich an.«
»Majestät, Ihr seid eine Frau, die alles hat, was sie sich wünschen kann; eine Herrscherin, die ihre Macht nach Herzenslust ausspielt; eine Mutter, die ihren einzigen Sohn so wenig liebt, daß sie ihn kaltblütig mit einer Frau verheiratet, die ihn haßt, die sich niemals von ihm berühren läßt, und die
das Kind eines anderen erwartet. Da ist mir meine Stiefmutter lieber, und sie ist wahrlich sündig und verdorben. Aber sie steht wenigstens zu ihrer Verdorbenheit.«
Turella verspürte einen zornigen Stich, wußte jedoch, daß das Mädchen sie bewußt mit der gnadenlosen Wahrheit reizte. Sie seufzte. »Hier trink etwas von der köstlichen Zitronenlimonade.« Turella schenkte sich ebenfalls einen Becher ein und trank durstig.
Erst danach sagte Chessa: »Ja, gern«, und leerte einen Becher.
Sie saßen nebeneinander auf der Steinbank. Turella erzählte ihr von Bulgarien, von endlosen Steppen, Dörfern mit strohgedeckten Häusern, von schwer bewachten Handelsstraßen. Sie erzählte von Kiew, das die Schweden eingenommen hatten, die ihre Herrschaft nach Süden und Osten ausdehnten.
Chessa hörte entspannt zu. Die Worte der Königin klangen weich und leise, wie aus weiter Feme. Sie horchte auf das leise Brummen der Nachtfalter. Betörender Rosenduft lag über dem Garten. Wie schön, dachte sie, daß Blumen auch nachts dufteten. Mit der Dunkelheit hüllte sie die Süße und samtige Schwere der lauen Nachtluft ein. Lächelnd sank sie von der Bank ins weiche Gras.
Turella erhob
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