Der Himmel ueber Dem Boesen
einen Überraschungsbesuch abzustatten. Das war Huws Idee gewesen. Huw saß friedlich neben ihr, die Hände auf den Oberschenkeln gefaltet, er hatte es überflüssig gefunden, den Sicherheitsgurt anzulegen. Trägt seine Narben wie ein Abzeichen, dachte sie. Nein, nicht wie ein Abzeichen, einfach wie Narben, die nie richtig verheilen. Merrily war froh, dass sie ihm nicht ins Gesicht sehen und seinen gequälten Blick aushalten musste.
«Der Witz ist, dass Donna möglicherweise gar nicht von West ermordet wurde. Die Knochen – ja, das passte in sein Muster, es gab aber auch mehrere Abweichungen. Der Pathologe hat die Frage als Erster aufgeworfen. Er kannte Wests Tatschema ganz genau.»
«Und welche Unterschiede gab es?»
«Also mit dem Loch stimmte alles. West hat sie in Löchern eingegraben, die tiefer als breit waren. Es waren keine
Gräber
, es waren Löcher. Wie die Löcher, in denen man ein verendetes Schaf neben der Weide eingräbt.» Huws Stimme war ausdruckslos. «Nie hat jemand eins von Wests Opfern durch Zufall gefunden. Er hat sie zerstückelt und dann ordentlich vergraben. Effizientes Abschlachten, ökonomische Entsorgung.»
«Danke, darüber habe ich gelesen.»
«Und Donna war auch zerstückelt worden, aber nicht sehr geschickt. Ihr Kopf war … abgehackt, die Beine gebrochen, die Arme auch. Ein Fuß war verstümmelt, ein paar Knochen fehlten. Aber es war nicht auf Freds Art gemacht worden, sagte der Pathologe. Zu grob, fand er, zu hastig.»
Doch nachdem Donna beinahe zwei Jahre unter der Erde gelegen hatte, war kein genauer gerichtsmedizinischer Nachweis mehr zu führen. Trotzdem hatte der Pathologe das Gefühl, dass dieser Mord nicht von Fred verübt worden war.
«Sie können sich natürlich vorstellen, wie gern die Polizei in ihm den Täter gesehen hätte. Schließlich will man keinen zweiten irrsinnigen Mörder in der Gegend haben. Also haben sie nicht besonders genau ermittelt, und die Mehrheit der Beamten war ohnehin überzeugt, dass dieser Fall längst gelöst war. Sie meinten, Fred hätte eben dieses Mal unter Druck gestanden, hätte nicht so sorgfältig vorgehen können wie sonst … ganz besonders unter diesen Umständen.»
«Welchen Umständen?»
«Er hatte gerade ein ziemlich kompliziertes Jahr hinter sich. Eins von seinen Kindern hatte einer Schulfreundin von den häuslichen Gewohnheiten in der Cromwell Street 25 erzählt, und so hatte sich Fred auf einmal in Gloucester vor Gericht wiedergefunden, weil er mit seiner Tochter rumgemacht hatte. Außerdem hatte er eine Anklage wegen dreifacher Vergewaltigung und eine wegen Sodomie am Hals. Rose wurde der Mittäterschaft angeklagt. Polizisten und Sozialarbeiter waren in sein geliebtes Heim eingefallen, und die Kinder wurden der Fürsorge unterstellt. Fred war gezwungen, sein Eheleben in allen Einzelheiten mit der Polizei zu diskutieren.
‹Meine Frau und ich, wir haben ein sehr erfülltes Sexualleben.›
»
«Aber sie sind ohne Verurteilung davongekommen, oder?»
«Ja. Der Richter konnte trotz allem nichts machen, weil das Opfer schließlich doch nicht gegen ihn aussagen wollte. Niemand wollte das. Niemand wollte dieses idyllische Zuhause zerstören. Also wurden die beiden freigesprochen und sind sich auf der Anklagebank in die Arme gefallen – ein Inbild reinster Unschuld.»
Doch die Polizei war immerhin im Haus gewesen und hatte all die Hinweise gesehen – die Sexspielzeuge, die pornographischen Heimvideos. Und während sich die Sozialarbeiter um die Kinder gekümmert hatten, waren ihnen die Witze aufgefallen, die in der Familie über Heather die Runde machten. Fred behauptete, sie sei mit einer Lesbe abgehauen. Einer von diesen Witzen lautete, dass Heather in Wahrheit unter der Terrasse vergraben worden war. Das war der Anfang vom Ende. Innerhalb kurzer Zeit stand Fred unter Mordanklage und saß in Haft, denn Heather war ziemlich genau dort gefunden worden, wo sie diesem krankhaften Witz zufolge vergraben worden war.
War Fred also klargeworden, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb? Hatte er vor seiner drohenden Verhaftung gedacht, er müsse sich schnell noch ein letztes Mädchen schnappen, bevor erkeine Gelegenheit mehr hätte? Oder war er Donna bloß zufällig in Cheltenham begegnet und konnte einfach nicht widerstehen?
Oder war sie von jemand anderem ermordet worden?
«Sie glauben, Roddy Lodge könnte Donna umgebracht haben, stimmt’s? Das haben Sie auch Bliss erzählt. Und es ist kein Wunder, dass er von dieser Theorie
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