Der Himmel über der Heide (German Edition)
Müdigkeit konnte Kati in dieser Nacht nicht einschlafen. Dabei hatte Flo darauf bestanden, dass Kati ihr gemütliches Bett haben sollte, während sie selbst aufs Sofa im Wohnzimmer auswich.
Seit geraumer Zeit lag Kati nun bereits unter der leichten Sommerdecke und ließ ihren Blick in dem Halbdunkel des Zimmers umherwandern. Von draußen fiel das Licht der Straßenlampen herein und verlieh dem Raum eine warme, tröstliche Atmosphäre. Es war eine Geborgenheit, die Kati in ihrer eigenen Wohnung so nicht fand.
Ob es an Simon lag?, fragte sie sich. Einerseits hatte sie an Tagen, an denen er unterwegs war, oft ihre Freiheit genossen. Neben den ausführlich zelebrierten Badeabenden hörte sie dann gerne laut die Musik, die er nicht mochte, und ließ überall ihre Sachen herumliegen. Andererseits hatte sich dieser Alltag immer wie ein Leben auf Abruf angefühlt. Auch wenn sie es nicht wollte, so hatte sie sich doch immer auf Simons Reisen eingestellt und versucht, sich seinen Vorstellungen von einem gemeinsamen Leben anzupassen. Das fing schon damit an, dass sie die Wohnung ganz anders eingerichtet hätte, wenn sie dort alleine wohnen würde. Damals war alles ganz schnell gegangen. Sie brauchte eine neue Bleibe, weil sich ihre alte WG aufgelöst hatte. Und Simon lebte damals noch mit seiner Exfreundin unter einem Dach. Mit Tina war er zwar schon lange auseinander gewesen, auch lange bevor Kati ihn kennenlernte. Doch aus Bequemlichkeit oder was auch immer war keiner von beiden ausgezogen. Kati konnte Simon schließlich überreden, mit ihr gemeinsam etwas Neues zu suchen. Über einen Maklerfreund von Simon fanden sie dann die Dreizimmerwohnung.
Kati war damals sehr froh über diesen ersten Schritt in eine gemeinsame, ja irgendwie erwachsene Zukunft gewesen. Aber wenn sie ganz ehrlich zu sich war, ging es ihr vielleicht schon damals nicht wirklich um Simon als Mensch, sondern eher um seine Rolle als zukünftiger Mann an ihrer Seite. Oder versuchte sie, sich das jetzt nur einzureden?
Nein, seufzte Kati innerlich, so ganz falsch schien dieser Gedanke nicht zu sein. Auch wenn ihr die Vorstellung, alleine wieder von vorn anfangen zu müssen, und die Einsamkeit und Leere ihr eine höllische Angst einjagten. Sie brauchte Abstand. Vielleicht konnten sie danach in Ruhe über alles reden. Vielleicht konnten sie beide ihre Beziehung – oder das, was davon noch übrig war – ja noch einmal neu überdenken.
Kati sah auf die digitale Anzeige von Flos Radiowecker und stöhnte, weil sie in nur drei Stunden schon wieder aufstehen musste. Sie hatte mit Flo besprochen, dass sie am nächsten Morgen gemeinsam in die Agentur gehen würden. Hoffentlich ergab sich dann endlich eine gute Gelegenheit dafür, dass Kati Gero um einen etwas längeren Urlaub bitten konnte. Mindestens drei Wochen wollte sie sich in der Heide ganz der Familie widmen können.
Auf ihre unnachahmliche Art hatte Flo behauptet, dass selbst so ein Unmensch wie Gero ihr diesen Wunsch unmöglich abschlagen konnte, wenn sie morgen vollkommen verheult und mit schwarzen Augenrändern vor ihm stand.
Kati hoffe inständig, dass er mit der Präsentation zufrieden war und sie grünes Licht bekam, um Hamburg eine Zeitlang den Rücken zu kehren. Kein Zeitpunkt war besser geeignet als dieser.
***
Rund sechs Stunden später steckte Kati mit zitternden Fingern den Schlüssel ins Schloss ihrer Wohnungstür.
In der Agentur hatte sie Gero in einer kräftezehrenden Verhandlung vier Wochen unbezahlten Urlaub aus den Rippen geleiert. Jetzt wollte sie so schnell wie möglich ihre kleine Hamburger Welt verlassen.
Wild entschlossen, während Simon außer Haus war, nur rasch ein paar Sachen zu packen, war sie die Treppen hinaufgelaufen. Doch in der Wohnung, wo angefangen von den Fotos am Kühlschrank bis hin zu den DVDs im Regal alles an ihre gemeinsame Zeit mit Simon erinnerte, beschlich Kati wieder eine lähmende Traurigkeit.
Sie atmete einmal tief ein und aus. Dann riss sie sich zusammen und ging ins Schlafzimmer, um ihre große Reisetasche für die nächsten Tage in Uhlendorf zu packen. Schnell stopfte sie das Nötigste hinein.
Als sie jedoch den kleinen Stoffhasen entdeckte, den Simon ihr vor langer Zeit geschenkt hatte und der nun einsam und verlassen auf ihrem Kissen lag, hielt sie inne und musste gegen die Tränen kämpfen. Sie nahm den Hasen in die Hand und strich ihm über die langen Schlappohren.
«Ach, Rübe», seufzte sie, «ich weiß, das ist traurig, aber es geht nicht
Weitere Kostenlose Bücher