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Der Himmel über der Heide (German Edition)

Der Himmel über der Heide (German Edition)

Titel: Der Himmel über der Heide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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Witthöft war der Sohn des örtlichen Tischlermeisters und hatte schon seit Schultagen zum Freundeskreis der Zwillinge gehört. Nach der Schule lernte Andi das Handwerk seines Vaters und arbeitete in dem kleinen Betrieb der Familie mit. Jule und er verbrachten in jenem Sommer vor Jules Tod so viel Zeit wie möglich zusammen. Die beiden hatten sich sogar Anfang Juli verlobt.
    Kati wusste noch, wie glücklich ihre Schwester damals gewesen war. Sie selber hatte zwar auch schon verschiedene Amouren mit Jungen aus der Schule gehabt, aber es war nichts Ernstes dabei gewesen. Trotzdem fand sie die Verlobung von Jule und Andi sehr romantisch und beneidete die Schwester auch ein wenig darum, ihren Mr. Right schon gefunden zu haben.
    Eines Tages beobachtete Kati bei einem Spaziergang an der Brunau durch Zufall, wie Andi mit einer fremden Frau herumalberte, sie im Arm hielt und sie küsste. Kati war erstarrt vor Schreck. Sollte Andi ihrer Schwester gegenüber wirklich untreu sein? Aber bevor sie das verliebte Pärchen erreichte, waren die beiden im Wald verschwunden. Sie hatten Kati nicht bemerkt. Als Jule gegen Abend vom Gitarrenunterricht nach Hause kam, nahm Kati sie zur Seite und erzählte ihr, was sie gesehen hatte. Jule sollte die Wahrheit erfahren – und sie reagierte mit einem fürchterlichen Wutanfall. Natürlich wusste Kati, dass ihre Schwester sehr eifersüchtig war und jähzornig werden konnte, aber mit einer so heftigen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Jule schrie, was Kati das eigentlich anginge, sie solle sich doch um ihren eigenen Mist kümmern! Wutentbrannt lief sie davon und kam auch zum Abendessen nicht nach Hause.
    Nach dem Essen zog Kati sich immer noch tief verletzt in ihr Zimmer zurück. Sie wusste aus Erfahrung, dass Jule sich beruhigen musste, bevor man wieder mit ihr reden konnte. Trotzdem fand Kati, dass ihre Schwester sich für die wüsten Beschimpfungen entschuldigen sollte.
    Etwa eine Stunde später schrillten die Sirenen des Feueralarms durchs Dorf, und wenige Minuten später ertönten die Martinshörner der zwei in Uhlendorf stationierten Löschzüge. Zusammen mit ihrem Vater und Elli ging auch Kati nach draußen, um zu schauen, was passiert war und ob Hilfe benötigt wurde. Ein wenig Neugier steckte natürlich auch dahinter. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Nachrichten eintrafen. Einer der Nachbarn, Albert Carstensen, informierte die Weidemanns, dass die Tischlerei der Witthöfts brannte. Angeblich war bereits ein Großteil zerstört.
    Kati fand das furchtbar, und eine unbestimmte Angst stieg in ihr auf. Wenn Jule nun zur Tischlerei gefahren war, um mit Andi zu sprechen. Und wenn … Sie mochte den schrecklichen Gedanken nicht zu Ende denken, aber alles sollte noch viel schlimmer kommen. Ein anderer Nachbar erzählte, dass man eine Leiche in der Tischlerei gefunden habe, wahrscheinlich eine tote Frau.
    Kati stockte der Atem. Und in ihrem tiefsten Innern war ihr in diesem Augenblick schon klar, wer die Tote, von der alle sprachen, sein musste. Sie war unfähig etwas zu sagen. Als ihr die Beine versagten, kauerte sie sich auf die Stufen zur Veranda und wartete. Mit quälender Gewissheit im Herzen wartete sie einfach nur darauf, dass die furchtbare Nachricht bei ihnen ankam. Irgendwann wurde sie an der Schulter gefasst, und irgendjemand sagte genau die Worte, vor denen sich Kati so gefürchtet hatte: «Jule ist tot!»
    An die nächsten Stunden konnte sich Kati nicht erinnern, da waren nur unzusammenhängende Bilder, verschwommene Schatten und Wortfetzen. Stimmen, die sie von weit her hörte, aber nicht verstehen konnte. Irgendjemand brachte sie ins Bett und flößte ihr etwas ein. Sie wusste nur noch, dass es bitter geschmeckt hatte.
    Als sie am nächsten Tag aufwachte, dauerte es ein wenig, bis sie klar denken konnte. Sie hatte entsetzliche Albträume gehabt und sich die ganze Nacht über hin und her gewälzt. Ihr Laken war vollkommen verschwitzt, draußen hatte die Dämmerung kaum begonnen. Dann aber kam die Erinnerung mit voller Wucht zurück, und die entsetzliche Todesnachricht dröhnte immerfort in ihren Ohren.
    Kati wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah sich um. Sie wusste nicht, wie lange sie in Jules Zimmer gesessen und an die damaligen Ereignisse gedacht hatte. Es war das erste Mal, dass sie die Erinnerungen an damals wieder zuließ. Zehn Jahre und zehn Monate hatte sie die Ereignisse um den Tod ihrer geliebten Schwester verdrängt. Zehn lange Jahre, in denen es

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