Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel über der Heide (German Edition)

Der Himmel über der Heide (German Edition)

Titel: Der Himmel über der Heide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
Vom Netzwerk:
Gefühl, das sie stets in ihren Albträumen begleitete: Angst. Und dennoch war dieses Mal ihr Mut größer. Sie öffnete die Tür und trat mit weichen Knien ein. Eine ganze Zeitlang blieb sie einfach so im Zimmer stehen und ließ ihren Blick umherwandern.
    Diese erste Begegnung mit der Vergangenheit empfand Kati gar nicht als so unangenehm, wie sie erwartet hatte. Der Raum umfing sie mit einer Vertrautheit, die sie beruhigte. Es roch wie auf einem Dachboden, staubig und trocken, und doch lag der Geruch nach Kindheit in der Luft.
    Sie schaltete das Licht ein, und ihr Blick schweifte erneut durch das ganze Zimmer und nahm nun jede Einzelheit wahr. Auf der rechten Seite stand Jules Bett, das mit einem dunkelgrünen Überwurf abgedeckt war. Kati erkannte daneben den Nachttisch und die kleine Kommode. In der Mitte des Raums stand ein rundes Tischchen mit einem Korbsessel davor, wie Kati ihn früher auch besessen hatte. Links vom Fenster befand sich der alte Sekretär, den Jule irgendwann gegen ihren Kinderschreibtisch aus Kiefernholz eingetauscht hatte.
    Kati konnte sich noch gut daran erinnern, wie ärgerlich ihr Vater geworden war, als er sah, wie nachlässig Jule mit dem Erbstück umging. Impulsiv, wie sie war, hatte sie nicht nur die Tür eines Tages wutentbrannt zugeschlagen, sodass das feingeschliffene Buntglas links oberhalb der Tischplatte zerbrach. Auch war das Holz irgendwann übersät mit Stickern, zumeist Pferdemotive, die nur schwer abzukriegen waren. Hinrich hatte es bald bereut, seiner Tochter das gute Stück anvertraut zu haben.
    Neben dem Sekretär stand ein Bücherregal, das ebenfalls mit Aufklebern übersät war. Der große Kleiderschrank gegenüber wirkte dagegen richtig kahl.
    Jules Zimmer sah gar nicht aus wie ein typisches Mädchenzimmer, dachte Kati. Vielmehr wie ein Zimmer, in dem ein Mädchen gelebt hatte, das sich in der Welt draußen älter geben wollte, als es eigentlich war. Mit ihren 21 Jahren war Jule jedenfalls längst nicht so erwachsen gewesen, wie sie es immer sein wollte. Das wusste Kati inzwischen.
    Traurig schüttelte sie den Kopf. Mein Gott, wie lange das alles her ist, dachte sie.
    Überall an den Wänden hingen noch Poster und kleine Bilder. An der einen Seite Jules geliebte Pferde, zwölf verschiedene Rassen in den unterschiedlichsten Farben, sorgfältig aneinandergeheftet und in derselben Reihenfolge aufgehängt, wie es der Fotokalender von damals vorgegeben hatte. Über dem Bett hingen Poster von den Backstreet Boys, Oli P. und Sasha.
    Kati musste schmunzeln. Die gleichen Bilder hatten auch in ihrem Zimmer gehangen. Es war ein bisschen so, als wäre Kati in ihr eigenes Zimmer von damals zurückgekehrt. Nur dass Jule die Chance verwehrt geblieben war, sich von ihrer Jugend zu verabschieden.
    Behutsam trat Kati ans Bettende, beugte sich herunter und fuhr mit dem Zeigefinger über die Oberfläche. Kein Staub hatte sich darauf gesammelt, was bedeuten musste, dass hier jemand regelmäßig sauber machte.
    Bestimmt kümmerte sich Elli darum, dachte Kati. Und mit einem Mal erschien es ihr merkwürdig, wie lange sie nicht mehr mit ihrer Großmutter über die Schwester gesprochen hatte. Auch für Elli war es damals schließlich nicht leicht gewesen.
    Katis Blick fiel auf Jules Gitarrenkoffer, der etwas zur Seite gekippt war. Sie richtete ihn wieder auf. Während Kati sich seit jeher für Malerei interessierte, war Jules große Leidenschaft die Musik gewesen. Sie hatte sogar in der Schulband gespielt, was Kati sich niemals zugetraut hätte. Kati wusste noch, wie stolz sie auf ihre Schwester gewesen war, als Jule bei der Entlassungsfeier für die Abiturienten ganz allein auf der Bühne «Sommertime» gespielt und gesungen hatte.
    Kati musste schlucken und trat ans Bücherregal. Dort waren ebenfalls ein paar Bände zur Seite gerutscht. Kati stellte sie gerade hin, nicht ohne jedes einzelne Buch ehrfurchtsvoll in Augenschein zu nehmen.
    Anschließend setzte sie sich behutsam aufs Bett und dachte an früher und daran, was mit Jule passiert war. Immer noch erschienen ihr die Ereignisse von damals so unwirklich, dass sie sich nachts, wenn sie aus dem immer wiederkehrenden Albtraum hochschreckte, jedes Mal neu die bittere Wahrheit ins Gedächtnis rufen musste, um sie auch nur ansatzweise begreifen zu können.
    Nach und nach kamen in Jules altem Kinderzimmer die schrecklichen Umstände wieder hoch, die zum Tod ihrer Schwester geführt hatten.
    Jule war damals mit Andi zusammengekommen. Andi

Weitere Kostenlose Bücher