Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
verlässt und der Gruppe durch den Nieselregen folgt.
Ein Schaufensterbummel zur Mittagszeit also, unterm Regenschirm betrachtet sie die Auslagen, doch doch, denkt sie, ein wenig eleganter wird das schon präsentiert, als sie es in Berlin oder zuletzt in Helsinki gesehen hat. Die Beträge auf den Preisschildern, die es freilich nur in den etwas weniger exquisiten Auslagen gibt, erscheinen ihr auf den ersten Blick nicht einmal so abschreckend, bis ihr einfällt, dass für den Franken derzeit gut 1,25 Mark bezahlt werden müssen. Sie sieht sich nach den jungen Frauen um, die an ihr vorbeihasten, können die diese Preise bezahlen, einfach so? Ein Motorradfahrer mit schwarzem Helm kommt ihr entgegen… Schon wieder?
Das dritte Schuhgeschäft rechts hat sehr hübsche italienische Sachen, wirklich, würde man sich nur nicht die Füße ruinieren damit! Sie bleibt kurz stehen und blickt dann die Straße hoch.
Der Mann mit dem schwarzen Helm ist nicht mehr zu sehen. Im Schaufenster zwei Häuser weiter sind neonkühl drei Nichtigkeiten von Dessous präsentiert, das Sektionsbüro der Schweizer Volkspartei hängt aus, dass sich das Schweizer Volk nicht den Brüsseler Bürokraten unterwerfen soll, vorne hebt Felix das Bein vor einer Filiale des Helvetischen Trust.
Noch immer fällt Nieselregen. Vor einer in Stahl und Glas gefassten UBS-Filiale studiert Barbara Aktienkurse und versucht, in der spiegelnden Glasscheibe des Aushanges einen großen stämmigen Mann zu beobachten, der auf der anderen Straßenseite aufgetaucht ist. Als sie das Gefühl hat, sie habe lang genug Zackenlinien angestarrrt, geht sie weiter, kommt an einem Büro der Thurgauischen Assekuranz vorbei und danach an einem schmiedeeisern vergitterten Barockhaus, an dem sie das diskret-unauffällige Messingschild der Privatbank Kuehbacher & Göldi wahrnimmt…
Im gleichen Augenblick bemerkt sie, dass die Gruppe vorne stehen geblieben ist und Anstalten macht, umzukehren. Sie rettet sich in eine Passage, die in einen Innenhof und dort zu einem Dritte-Welt-Laden führt.
Sie könnte eigentlich ein Päckchen Tee kaufen, der Darjeeling in Berndorfs Küche bekommt ihr nicht besonders. Aber sie weiß nicht, was sie heute sonst noch mit sich herumschleppen muss. Im Schaufenster des Ladens sind Plakate eines Netzwerks Freier Ärzte ausgehängt, die um Hilfe für ein Krankenhaus in Sambia bitten. Fotografien zeigen provisorische OP-Säle, in Baracken eingerichtet, und stellen Patienten der Klinik vor. Kinder lächeln strahlend, andere scheinen wachsam und fast ängstlich in die Kamera zu blicken. Einige der Kinder haben nur noch ein Bein, weil das andere von einer Mine abgerissen worden ist.
Eine große Frau mit kurzen blonden Haaren bleibt neben Barbara stehen und beginnt ihr zu erklären, was es mit dem Krankenhaus auf sich hat. Leider spricht sie Dialekt, und so versteht Barbara nur, dass es um einen Monatsbeitrag von zwanzig Franken geht. Höflich antwortet sie, dass sie sich gerne informieren möchte, und bekommt auch schon einen Prospekt aus Recycling-Papier in die Hand gedrückt.
Am Eingang der Passage ist der Hund Felix stehen geblieben und wittert durch seinen Maulkorb zu ihr her. Sie vertieft sich in den Prospekt. Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie Felix draußen weitergezogen wird.
Sie wartet noch ein wenig, bis sie wieder vorsichtig auf die Straße hinaustritt. Es gibt keine Hilfe, denkt sie und überlegt, wo sie das nun wieder herhat. Sie geht einige Schritte zurück in Richtung des Schauspielhauses. Vor dem Haus mit den schmiedeeisernen Gittern bleibt sie stehen. Sie kann nicht den ganzen Tag hinter Berndorf und der Gruppe herlaufen.
Der Kerl in der Lederjacke ist nicht zu sehen, auch kein Motorradfahrer mit schwarzem Helm. Was immer sie jetzt unternimmt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch. Juristen würden daraus den Schluss ziehen, nichts zu tun.
Sie ist keine Juristin. Entschlossen geht sie die Stufen des Barockhauses empor und öffnet die Tür und geht zum Empfang. Ein grauhaariger Herr, so würdig wie zwei Berliner Universitätsrektoren zusammen, hebt sein Haupt.
»Bei Ihnen wird ein Konto geführt, für das ich Vollmacht besitze«, sagt sie höflich. »Ich hätte es gerne eingesehen. Das Konto ist mit einem Passwort gesichert.«
Sie legt die Vollmacht mit Cosima Autenrieths notariell beglaubigter Unterschrift auf den Tisch, legt ihren Reisepass dazu, holt ihren Füller aus ihrer Handtasche und schreibt auf die Rückseite
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