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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Welt jetzt anders.«
    »Das ist nichts Böses. Ein waches Auge sieht immer Staub in den Ecken.«
    »Ich liebe euch. Ich liebe alles hier wie früher. Aber alles ist grau wie an einem Regentag, wenn Jian nicht hier ist.« Lida legte die Hände aneinander und sah ihre Mutter flehend an. »Nennt mich nicht eine undankbare Tochter. Ich will ja alles so sehen wie bisher, aber es will mir nicht gelingen. Ich bin so einsam ohne Jian. Aber wie kann ich bloß so etwas sagen, wo ich doch bei euch bin? Hat sich das Leben so geändert?«
    »Ja, Lida.« Jinvan beugte sich vor und strich ihrer Tochter über das lange schwarze Haar. »Die Liebe hat eigene Augen, und alles verwandelt sich, zum Guten, aber auch zum Bösen. Wir haben das alle erfahren und sind dann das geworden, was wir sind.«
    »Du bist nie einsam gewesen?« fragte Lida.
    »Nein.« Jinvan schüttelte den Kopf und blickte zu dem Bett hinüber, in dem Huang lag und fest schlief. »Dein Vater war immer bei mir.«
    »Weißt du, was Sehnsucht ist?«
    »Nein. Es gab keine Trennung zwischen deinem Vater und mir.« Sie überlegte und nickte dann. »Doch, da war so etwas wie Sehnsucht. Dein Vater mußte sechs Wochen auf einen Lehrgang, eine politische Schulung für Lehrer. Tifei war schon geboren und sechs Jahre alt, und ich war gerade mit dir schwanger. Sechs Wochen ohne deinen Vater – es waren wie sechs Jahre in einem fremden Land. Aber ich wußte ja, er kommt wieder, und ich habe sechs Striche an die Wand gemalt, und wenn eine Woche vorbei war, habe ich den Strich durchkreuzt, und von Kreuz zu Kreuz wuchs meine Freude, und dann war er wieder da, und die Welt war wieder voll Leben.« Jinvan strich wieder über Lidas Haar. »Alle Gefühle, die jetzt in dir sind, meine Tochter, sind keine Rätsel – sie gehören zu den Liebenden.«
    »Ich danke dir, Mutter. Du hast mir sehr geholfen.« Lida ergriff plötzlich die Hand ihrer Mutter, küßte sie und lief dann schnell zu dem wartenden Büffel hinaus.
    An dem späten Abend, an den Jian wieder in Kunming eintraf, wie immer erschöpft von der anstrengenden Fahrt, mit Staub bedeckt und voll Verlangen, unter die Dusche zu kommen und sich zu erfrischen, sah er seinen Vater nicht. Er wollte keinen Streit mit ihm, aber nach dem Bad, wieder in seinen Morgenmantel aus schwerer Seide gehüllt und am Tisch sitzend, den man für ihn allein gedeckt hatte, fragte er doch seine Mutter: »Hat es mit Vater noch eine Auseinandersetzung gegeben?«
    »Wozu und worüber?« fragte Meizhu zurück.
    »Daß ich wieder für drei Tage weggefahren bin.«
    »Hätte es Sinn, darüber zu reden?«
    »Nein, Mutter. Es wären verlorene Worte.«
    »Uns bricht nur das Herz, daß du das Lügen gelernt hast.«
    »Es wird die Zeit kommen, wo ihr mich verstehen werdet.«
    Das Bauernmädchen aus Huili – wir werden das nie verstehen, mein Sohn. Meizhu sah Jian zu, wie er mit großem Appetit aß. Es wird bald ein Ende haben, dachte sie. Auch der Klügste macht einmal einen Fehler, und deiner war, auf einer Karte den Weg nach Huili einzuzeichnen. Nichts auf der Welt wird Tong Shijun davon abhalten können, dorthin zu fahren und die alte Ordnung wiederherzustellen. Und du, mein Sohn, wirst lernen, daß die Zeiten sich zwar äußerlich ändern, daß aber eines bleibt wie vor Jahrtausenden: die Achtung vor dem Vater und seinem Willen.
    Nach dem Essen wünschte Jian seiner Mutter eine gute Nacht und zog sich auf sein Zimmer zurück. Den ganzen Tag hatte er über das nachgedacht, was Lida in der Nacht alles zu ihm gesagt hatte. Es begann damit, daß sie fragte: »Du weißt noch nicht, wann du wiederkommst?«
    Und er hatte geantwortet: »Ich kann es nicht sagen. Ich werde viel und konzentriert arbeiten müssen.«
    »Und je weiter du mit deinem Studium kommst, um so weniger Zeit wirst du haben.«
    »Damit müssen wir rechnen, Lida.«
    »Es werden Monate kommen, wo ich dich nicht sehe.«
    »Das könnte möglich sein.«
    »Vier Jahre lang, Jian.« Sie legte den Kopf in seinen Schoß und blickte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. »Mein Herz wird brechen.«
    »Wir müssen es durchstehen, Lida. Du darfst jetzt nicht ungeduldig werden. Ungeduld ist der Tod der Hoffnung. Und wir können es ja nicht ändern.«
    »Wir können es, Jian. Ich kann es.«
    »Gib mir keine Rätsel auf, Lida.«
    »Hast du nie daran gedacht, daß ich zu dir nach Kunming kommen könnte?«
    Die Überraschung nahm ihm fast den Atem. An alles hatte er gedacht, nur an das nicht, da mußte er ihr recht geben.

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