Der Judas-Code: Roman
auf den Schienen vorrollte und ins Wasser plumpste.
Die Windschutzscheibe wurde überspült, als der Bug tief ins Wasser eintauchte.
Dann sprang mit einem tiefen, kraftvollen Grollen der Motor an. Lisa spürte die Vibrationen am Gesäß.
Mit bollerndem Motor begann der Meerespfeil , übers Wasser zu gleiten. Regenschauer und Wasserspritzer peitschten die Kabine.
»Und los geht’s«, murmelte Ryder und gab Gas.
Das Boot machte seinem Namen alle Ehre und schoss wie ein Pfeil übers sturmgepeitschte Wasser. Lisa wurde von der Beschleunigung in den Sitz gedrückt.
Monk stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
Ryder legte das Boot schräg und schlitterte wie über eine Schlittschuhbahn. Er sauste um den Bug des Schiffes herum, eine Mücke neben einem Wal.
Lisa blickte zu dem gewaltigen Schiff auf. Jetzt, da die Schüsse und Schreie nicht mehr zu hören waren, wirkte die Mistress of the Seas ganz friedlich und leuchtete sanft in der Düsternis des Sturms.
Dabei wusste sie genau, dass es an Bord alles andere als friedlich zuging.
Als sie sich zurücklehnte, konnte sie sich eines leichten Schuldgefühls nicht erwehren. Wegen Jessie, Henri und Dr. Miller. Und wegen all der anderen. Sie hatte das Gefühl, sie sei einem Kampf ausgewichen und habe die Menschen an Bord im Stich gelassen, um ihre eigene Haut zu retten.
Doch sie hatte keine Wahl gehabt.
Ryder schwenkte das Boot herum und hielt auf die Insel zu, auf die Stelle, wo sie Susan abholen wollten. Das Boot raste auf den dunklen Dschungel zu, der gesäumt war von einem schmalen Strand.
Lautlos wiederholte sie Henris Abschiedsworte.
Das Heilmittel muss in Sicherheit gebracht werden.
Lisa beobachtete, wie die Bäume und der Strand immer näher kamen.
Sie mussten es schaffen.
5:50
Rakao beobachtete durchs Infrarotfernglas, wie das seltsame Wasserfahrzeug ums Kreuzfahrtschiff herumschwenkte und dann auf ihn zuraste. Das Boot zeichnete sich als roter Fleck auf dem kälteren Wasser ab.
Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie sollten auf den ersten Schuss warten und dann angreifen.
Rakao senkte das Fernglas und blickte durchs Zielfernrohr. Er fixierte erneut sein Ziel: die entflohene Frau. Sie war aus dem Dschungel hervorgetreten und wartete am Strand.
Rakao hörte das Grollen des sich nähernden Boots.
Die Frau hob den Arm. Er hatte den Eindruck, der Arm leuchte im Mondschein. Doch es schien kein Mond.
Ein kalter Schauder lief Rakao über den Rücken. Doch er ließ sich nicht ablenken. Er hatte einen Auftrag. Sich den Kopf zerbrechen konnte er später.
Einer der Eingeborenen schob den langen Einbaum ins Wasser. Er winkte die Frau zu sich heran. Sie trat ins flache Wasser, kletterte in den Einbaum und nahm unbeholfen im Heck Platz.
Der Mann hinter dem Heck bückte sich, um den Einbaum dem sich nähernden Boot entgegenzuschieben. Er brauchte nicht lange zu warten.
Das Motorboot wurde langsamer und schwenkte herum, sodass es dem Strand die Steuerbordseite zuwandte. In etwa sieben Metern Abstand zum Einbaum kam es zum Stillstand.
Die Luke war bereits geöffnet.
In der Öffnung erspähte Rakao einen Mann.
Ausgezeichnet.
Rakao legte an, zielte - und schoss.
05:51
Als es knallte, zuckte Monk, der in der Luke stand, zusammen.
Er beobachtete, wie der Eingeborene am Heck des Einbaums im Wasser zusammenbrach. Dabei versetzte er dem Kanu einen Stoß Richtung Boot.
Mehrere Schüsse wurden abgefeuert, winzige Lichtblitze im finsteren Dschungel.
Ein zweiter Eingeborener mit Schussverletzungen an Brust und Schulter taumelte auf den Strand. Flehentlich zeigte er auf die im Einbaum sitzende Susan, als könnte die Hexenkönigin ihn retten. Abermals knallte es, und sein Kopf wurde zurückgeschleudert, während die untere Gesichtshälfte explodierte.
Er brach zusammen.
Das war eine Falte... und Susan war der Köder.
Ein Kugelhagel traf die Flanke des Meerespfeils und trieb Monk nach innen. Ryder fluchte unbeherrscht. Monk kletterte nach hinten und schnappte sich das Sturmgewehr vom Rücksitz.
Ein gebrüllter Befehl beendete den Beschuss.
In der nachfolgenden Stille kroch Monk vorsichtig zur Luke zurück.
Im knietiefen Wasser stand ein Mann mit Tätowierungen im Gesicht. Rakao hielt in der einen Hand einen Speer und in der anderen eine SIG Sauer-Pistole, mit der er auf Susans Kopf zielte. Sie hockte im Heck des treibenden Kanus.
Mit angstvoll geweiteten, leuchtenden Augen blickte Susan zu Monk hinüber.
»Macht den Motor aus!«, rief Rakao auf Englisch übers
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