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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen! Jesus und Maria … «
    Nur Alex konnte von ihrer Orgel aus sehen, wie Maries Lider flatterten, wie ihr ganzer Körper unter einer ungeheuren Anstrengung vibrierte. Es war der eiserne Wille einer Mutter, den entsetzten Gesichtern in den Kirchenbänken die Kraft ihrer eigenen Stimme entgegenzuhalten. Alex begleitete das Solo unbeirrt zu Ende.
    *

Es hatte angefangen zu schneien, als sich Paul auf dem Kirchenvorplatz eine Zigarette anzündete. Nachdenklich betrachtete er seinen Sohn, der das Kirchenvolk in Aufregung versetzt und den Pfarrer so in Rage gebracht hatte. Paul hatte keine Ahnung, was im Kopf dieses Jungen vorging. Ein Kind, das nicht weiß, was es tut? Ein Kind, das sich nicht einfügen will? Ein Kind, das auf die Regeln der Erwachsenen pfeift? War Felix frech oder war sein Jüngster einfach nur blöd? Zurückgeblieben? Ein hoffnungsloser Fall?
    Beschämt musste sich Paul eingestehen, dass er es selbst nicht wusste. Doch er sah, wie die Lippen seines Sohnes vor Kälte bläulich schimmerten, wie er im Schneegestöber dieses dunkelnden Weihnachtstages bibberte. Paul schlug den Wollmantel auf und hüllte seinen Jungen darin ein.
    *

Den Heiligabend verbrachte die Familie Moosbacher in gedrückter Stimmung. Den langen Weg zurück ins Dorf hatte kaum jemand ein Wort gesagt, und auch der Weihnachtsabend verlief diesmal äußerst schweigsam. In Maries Kopf hatten sich die Bilder dieses Gottesdienstes wie ein Alptraum eingebrannt, und sie versuchte noch immer, den Aufruhr in ihrem Inneren zum Schweigen zu bringen.
    Elisabeth hatte, wie jedes Jahr, den Gänsebraten schon seit dem frühen Morgen in der Röhre schmurgeln lassen und war nun froh, dass sie das Anrichten des Bratens von der entsetzlichen Blamage während des Weihnachtsgottesdienstes ablenkte. Den Klingelbeutel zu plündern! Eine größere Sünde war schwer vorstellbar. Xaver verbarg sich hinter seiner Pfeife und schien noch schweigsamer als sonst. Paul bemühte sich sichtlich, seine gereizte Stimmung zu verbergen, er wollte den ohnehin lädierten Abend nicht völlig verderben. Einzig Lena und Max schienen die Bedrückung der Erwachsenen bald vergessen zu haben und tobten nach dem Essen mit ihren neuen Spielsachen herum. Lena hatte ein neues Strickkleid für ihre geliebte Puppe Clara bekommen und Max einen Bumerang aus Holz, den er sich schon lange gewünscht hatte.
    Felix jedoch ließ sein Weihnachtsgeschenk, einen Holzlaster, gleich wieder liegen und griff lieber nach den Scheiten im Ofenkorb, um auch am Heiligen Abend die Holzstöckchen so lange auf dem Boden hin- und herzuschieben, bis ihm die Anordnung gefiel und er schlagartig müde wurde.
    Felix legte das letzte Scheit akkurat an, so wie ein Maler den ultimativen Pinselstrich unter sein Gemälde setzt. Nun gab es nichts mehr, was er an seinem hölzernen Mosaik noch verändert hätte. Sein inneres Bild und die von ihm geschaffene Wirklichkeit waren eins geworden.
    Nachdem Marie ihren Jüngsten zu Bett gebracht hatte, ging sie nicht zu den anderen in die warme Küche zurück. Fröstelnd trat sie in den dunklen Hof, sah durch das Fenster in die mit Kerzen erleuchtete Stube und hörte das Lachen ihrer größeren Kinder. Ihr war elend zumute. Sie schlang das wollene Tuch, das sie um ihre Schultern gewickelt trug, fester zusammen, als Paul aus dem dunklen Flur zu ihr hinaus ins Freie trat.
    » Was machst du denn in dieser Kälte? « , fragte er.
    » Mir war zum Ersticken « , flüsterte Marie. » Ich musste an die frische Luft. «
    Für einen Moment sah Paul seine Frau hilflos an. Schließlich zog er sie vorsichtig in seine Arme. Er fühlte ihre Verzweiflung, spürte, wie steif ihr ganzer Rücken war.
    » Komm « , flüsterte er leise. » Lass uns wieder reingehen. Du verkühlst dich noch. «
    *

Blaugrau glänzende Wolken schoben sich langsam am Himmel entlang, als Paul am letzten Tag des alten Jahres auf das nah am Neudorfer Weiher gelegene Hopfenfeld fuhr. Hier befand sich seine größte Anbaufläche, hier hatte er die meiste Arbeit in die Böden gesteckt, in dieser Erde lag all seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
    Hoffnung, ja, das war das richtige Wort, Hoffnung hatte Paul immer noch, auch wenn er von Gewissheit nicht mehr sprechen konnte. Man hätte schon blind und taub sein müssen, um nicht zu bemerken, wie geschickt ihm der Schenkhofer auswich, dass er sich verleugnen ließ, wenn Paul versuchte, in der Brauerei einen Termin auszumachen, der

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