Der kalte Schlaf
dasselbe, was ich sagen würde, wenn du dich mit einem Mann triffst, von dem ich nicht weiß, dass seine Frau gerade Zwillinge geboren hat: Wenn es dich so sehr belastet, beende es. Es sei denn, es belastet dich noch mehr, es zu beenden.«
»Ich werde mich zu schuldig fühlen, um Chris’ Namen jemals zu erwähnen«, sagte Liv düster. »Das weißt du. Wie kann ich ein Gespräch führen und meine Gefühle außen vor lassen? Ich bin doch kein Roboter.«
Am liebsten hätte Charlie gestöhnt und den Kopf auf die Tischplatte gelegt. Würde sie einen Vertrag ausarbeiten müssen, komplett mit Kleingedrucktem und einschränkenden Klauseln? »Du kannst über deine Gefühle reden, soviel du willst, solange du mich und meine Gefühle außen vor lässt.«
»Also, mal angenommen …«
»Es wird keine Diskussionen geben«, erklärte Charlie entschieden.
»… ist es okay, wenn ich sage: ›Ich habe die ganze Nacht geheult, weil ich Dom heiraten muss und Chris nicht heiraten kann‹, aber es ist nicht okay, wenn ich dich frage, ob du mir vergeben hast oder das je tun wirst?«
»Donnerwetter, sie hat’s kapiert.« Charlie zitierte My Fair Lady , noch etwas, was sie und Olivia geliebt hatten, als sie noch Kinder waren.
Liv schüttelte irritiert den Kopf. »Also schön. Ich erkläre mich mit deinen lächerlichen Bedingungen einverstanden. Gott, du bist erst vier Monate mit Simon verheiratet, und schon hat er dich dazu gebracht, so zu reden, als wären Gefühle irgendein widerliches Abfallprodukt. Meinetwegen rede nicht mit mir darüber, wenn du nicht willst, aber bitte, zu deinem eigenen Besten, versuch, etwas zu empfinden, solange du noch kannst, bevor Simon dich endgültig in einen Roboter verwandelt. Denn das ist es, was gerade passiert, Char.« Livs Stimme zitterte. »Er versucht, dich in eine … eine Leerstelle zu verwandeln, damit er mit dir leben kann, ohne sich bedroht zu fühlen.«
Charlie lächelte. »Nun gut«, sagte sie. »Um zu dem theoretischen Beispiel zurückzukehren, das du gerade angeführt hast: Es ist mir egal, ob du es tust oder nicht, aber dir sollte klar sein, dass du Dom nicht heiraten musst .«
Liv begann zu weinen. »Hast du ein Taschentuch?«, flüsterte sie.
»Wir Leerstellen brauchen keine Taschentücher«, teilte Charlie ihr mit. »Wir sind trocken, trocken, trocken.«
»Wie kannst du das ertragen, Charlie?«
»Ginny würde sagen, ich habe in der frühen Kindheit gelernt, meine emotionalen Regungen abzublocken. Wusstest du, dass unverarbeitete traumatische Erfahrungen in einem anderen Teil des Gehirns gespeichert werden, getrennt vom Rest unserer Erinnerungen?«
»Ginny?«, fragte Liv.
»Meine Hypnotiseurin. Anscheinend ist sie selten einem Menschen begegnet, der so wenig Zugang zu seinen Gefühlen hat wie ich.«
»Ist das der Sinn der Regeln, die du gerade aufgestellt hast?«, fragte Liv. »›Selten einem‹ reicht dir nicht, du willst die Goldmedaille?«
»Klar.« Charlie spielte mit. »Warte nur, bis Ginny von diesem Gespräch erfährt – sie wird zugeben müssen, dass ich die Konkurrenz aus dem Rennen gefegt habe.«
»Es sieht dir überhaupt nicht ähnlich, zu einer Hypnotherapeutin zu gehen. Du hast nie gesagt, dass du das Rauchen aufgeben willst.«
»Laut Ginny bin ich noch nicht bereit, das Rauchen aufzugeben. Ich habe das Gefühl, dass ich das ein oder andere lernen werde, während wir beide darauf warten, dass meine Bereitschaft wächst. Wusstest du beispielsweise, dass manche Menschen schmerzliche Erinnerungen total verdrängen – sie haben keine Ahnung, dass da was war, bis sie sich unter Hypnose wieder daran erinnern? Andere hingegen wissen bis ins kleinste Detail, was passiert ist, aber sie verdrängen die Gefühle, die eigentlich dazugehören. Wie ich, ich gehöre zur zweiten Art. Zweifellos ist es deutlich besser, zur zweiten Art zu gehören.«
»Charlie …«
»Die anderen, die aus Gruppe A, können immer urplötzlich von einer Erinnerung überrumpelt werden, die plötzlich wieder auftaucht. Wir sind da cleverer und durchtriebener. Wir verdrängen nicht, sagen wir uns selbst, denn wir wissen ja alles, was es über uns zu wissen gibt, alle Fakten sind uns bekannt. Zudem fühlen wir uns ständig beschissen und sind stolz darauf – es kann also nicht sein, dass wir negative Gefühle verdrängen, oder?«
»Es ist wegen Simon, stimmt’s?«, sagte Liv. »Deshalb gehst du zu dieser Frau. Es ist alles für ihn.«
Charlie schnaubte. »Klar, es war Simons Idee. Klingt
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