Der Katalysator
Marriott.
24
Der C&O-Kanal
Am späten Abend holte er Mary von der U-Bahnstation Crystal City ab, brachte sie ins Marriott und wartete dann in der Cocktailbar.
„Hast du gewonnen?“ wollte sie wissen. „Erzähl mir alles.“
Er lächelte und dachte an Abrams, lebendig und wohlauf, und an die beiden Gestalten am Swimming Pool. „Wer weiß? Die Entscheidung erfahren wir in ein paar Wochen.“
„Also brauchst du meine moralische Unterstützung gar nicht?“
„Oh doch.“
„Was machen wir morgen?“
„Es gibt viele Möglichkeiten in Washington. Was möchtest du tun?“
„Was hast du denn gern getan, als du hier wohntest?“
„Meistens bin ich nur spazierengegangen.“
„Mit Sheila?“
„Mit Sheila nicht oft.“ Er betrachtete sie gedankenversunken. „Ich habe eine gute Idee – falls das Wetter sich hält. Warten wir bis morgen früh. Wir reden beim Frühstück darüber.“
„Schön.“
Am Samstagmorgen war es klar und immer noch warm. Sie trafen sich in der Cafeteria, und Paul offenbarte ihr seinen Plan. Er wollte mit Mary am alten C&O-Kanal Spazierengehen – dazu hatte er Sheila in den Jahren, in denen sie zusammen in Washington gewesen waren, niemals überreden können. Sheila war nicht besonders gern spazierengegangen. Sie vertrat die Ansicht, daß Gott Taxis und die Metro geschaffen habe, damit man sie benutze, vor allem für Reisen, die über zwei Blocks hinausführten. Daß jemand zum puren Vergnügen einen langen Fußmarsch machen konnte, war ihr völlig unbegreiflich.
Er würde aus der Küche des Marriott ein Lunchpaket und eine Einweg-Thermosflasche besorgen. Sie würden mit der Cabin-John-Metro nach Georgetown fahren, von dort zum Leinpfad des Kanals hinunterwandern und auf halber Strecke des Leinpfades zu Mittag essen.
Zu seiner großen Erleichterung war Mary sogleich von diesem verrückten, blasenträchtigen Plan begeistert, und so machten sie sich auf den Weg.
Wie sich zeigte, hatten sie den Kanal fast für sich allein. Auf der ersten Hälfte der Strecke begegnete ihnen nicht einmal das motorisierte Ausflugsboot, der Canal Clipper.
Es war ein feucht-warmer Tag, und Mary trug eine leichte Polyesterbluse mit kurzen Ärmeln und einen tunika-artigen Plaidrock. Das Kostüm war blaukariert, und die Bluse war vorn mit kleinen, blauen Magnetknöpfen geschlossen. Sie hatte ihr dunkles Haar in einem seltsamen Schwung über die Stirn nach oben gebürstet (um eine Perücke zu imitieren, vermutete er), eine Frisur, die gerade sehr modisch war. Paul lag nicht sehr viel an der neuen Mode, aber er behielt seine Gedanken für sich. Er war kein Experte für weiblichen Stil.
Sie waren etwa eine Stunde lang den Leinpfad entlanggewandert, als im Osten dunkle Wolken aufstiegen. Besorgt schauten sie zum Himmel, als die Sonne sich verfinsterte.
„Ich glaube, wir bekommen ein wenig Regen“, brummte er. (Verdammt! Er hätte sich einen Wetterbericht besorgen sollen.)
Sie stimmte ihm zu. „Da war ein Regentropfen. Es fängt schon an.“
„Komm. Da vorn ist etwas. Gleich hinter der Brücke.“
Sie schaute hoch, als sie unter dem riesigen Brückenbogen weit über ihnen dahinhasteten. „Welche Brücke ist das?“
„Chain Bridge, glaube ich. Ah, wir sind da …“
Es war ein unvollendetes Steingebäude. Vor dem Eingang stand ein verwaschenes, unleserliches Schild an einem Holzpfahl, und dies, zusammen mit einem merkwürdigen Ozongeruch, löste eine undeutliche Warnung in Pauls Unterbewußtsein aus. Wenn der Zutritt hier verboten war, dann was das eben Pech. Dies war ein Notfall. Außerdem waren sie in einem öffentlichen Park, und er zahlte seine Steuern.
Der Regen prasselte in dicken, warmen Tropfen herunter, als sie sich
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