Der Katalysator
der Erinnerung. Damals an der Brücke. Ja, dort war es gewesen. Die Weiden bei der Brücke. Aber er war nicht sicher, ob er sich tatsächlich daran erinnern wollte. Denn auf der Brücke hatte er den zweiten Stein geworfen, und er war nirgends aufgeschlagen. Und dann war da diese Gestalt auf der Brücke gewesen. Alles das hatte ihn (wenn er abergläubisch sein wollte) zu diesem Punkt geführt. Die Brücke hatte hierher geführt. Das, was vorausgeht, ist die Ursache. War es so?
Er dachte an den Weidenhain bei der Brücke. In seinen letzten Jahren in Damascus war es ein langgehegter erotischer Wunschtraum für ihn gewesen, mit einem Mädchen über den Pfad von der Straße herauf hierher zu kommen und es auf dem von kargem trockenem Gras und Laub bedeckten Boden unter den Weiden zu lieben, am liebsten an einem warmen Sommerabend, kurz nach Sonnenuntergang, wenn der Ziegenmelker zu rufen angefangen hatte. Und es mußte ein ganz besonderes Mädchen sein, eines wie Mary Derringer.
Er beugte sich hinüber und küßte sie. Schlaftrunken schlug sie die Augen auf, aber dann begriff sie die Situation. Sie stand auf und strich ihr Kleid glatt. Paul half ihr, den Verschluß ihres Büstenhalters und die kleinen, blauen Knöpfe an ihrer Bluse zu schließen. Er zupfte ein totes Weidenblatt aus ihrem Haar.
Gleichzeitig hoben sie die Köpfe – irgendwo unten auf dem Leinpfad war ein fernes Geräusch zu hören.
Sie hatten noch viel Zeit. Er hielt ihr den Spiegel vors Gesicht, während sie die Haarnadeln aus den Locken über ihrer Stirn zog und ihr Haar ausbürstete. Sie machte sich nicht die Mühe, die Locken neu zu legen; sie teilte ihr Haar einfach in der Mitte und ließ es lang über ihre Ohren herabfallen. Dabei summte sie vor sich hin, und ganz unverhofft war sie wieder frisch, adrett und unzerknüllt. Paul schüttelte erstaunt den Kopf. Sie hatte mit ihrer magischen Hand über sich hinweggestrichen, und die Falten in ihrer Tunika waren verschwunden. Sogar der rosige Fleck auf ihrer Wange, wo sie auf seinem Arm gelegen hatte, war nicht mehr da, und strahlend stand sie vor ihm.
Ah, Mary, meine Freundin, meine Geliebte.
Aber die goldene Stunde war vorüber. Sie mußten zurück. Zurück zum Hotel. Zurück zur New Yorker U-Bahn. Trennung. Zurück nach Ashkettles und warten auf das Urteil. Kopf: Kussman gewinnt. Zahl: Ich verliere.
Ich wünschte … Was er sich wünschte, hatte irgend etwas mit Mary zu tun. Aber er konnte es nicht in Worte fassen. Noch nicht … noch nicht.
Bei Mary hatte der ganze Ausflug ein erfüllendes und zugleich bizarres Gefühl von déjà vu hervorgerufen, als habe sie vorausgesehen, daß sie mit Paul unter den Trauerweiden bei der Auffahrt zu einer Brücke liegen würde. Aber sie wußte, daß es noch nicht vorüber war. Sie würde die Brücke wiedersehen, und beim nächsten Mal würde die Gestalt auf der anderen Seite ihr ein ganz bestimmtes Zeichen geben, und sie würde sein Gesicht sehen … nicht Pauls … nicht Dr. Seranes … aber sie würde ihn sofort erkennen.
Fünfzehn Tage nach der Schlußanhörung kam die Entscheidung des Prüfungsausschusses für Patentüberschneidungen über den Telekopierer herein. Serane war einstimmig als Ersterfinder anerkannt worden.
Er hatte gewonnen.
Als erstes rief er Serane an.
Dann schrieb er eine Aktennotiz an Kussman. Am nächsten Tag rief Kussman ihn zu sich. „Sie können immer noch in die Berufung gehen, nicht wahr?“
„Ja natürlich, aber ich bezweifle, daß sie es tun werden. Nicht bei einer einstimmigen Entscheidung.“
„Wie lang ist die Frist, die sie haben?“
„Zwanzig Tage.“
„Infantileren Sie mich, falls sie doch Berufung einlegen.“ Die Frist verstrich, und Deutsche ging nicht in die Berufung. Der Serane-Katalysator
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