Der Keil des Himmels
irgendetwas gibt, das Menschen ganz bestimmt nicht können, dann ist das Zaubern.“
Es stiegen die vagen Nachklänge seines damaligen Gesprächs mit dem Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Rhun in ihm auf, der die eherne Doktrin der gebildeten Welt Idiriums pointiert auf den Punkt brachte: Magie in den Kreis der Betrachtung, die Möglichkeit ihrer Existenz innerhalb der Grenzen menschlichen Lebens überhaupt in Erwägung zu ziehen war eines gebildeten, aufgeklärten Geistes unwürdig. Spekulierte man darüber, machte man sich nur lächerlich.
Auric sah, dass Silgenja sein Zögern bemerkt hatte, dass er ihn ruhig abwartend ansah. Als er bemerkte, dass Aurics Blick zu seinem Gesicht zurückkehrte, trat ein sprödes Lächeln auf seine Lippen.
„Nicht wahr, wir sollten es besser wissen“, sagte er. „Wir haben beide das Blitze schleudernde Wesen in den Katakomben gesehen. Die Frage, die sich für mich ergibt ist folgende: Was – egal ob zugänglich für den Menschen oder nicht – ist Magie?
Die Loge des Einen Weges scheint darauf eine Antwort gefunden zu haben.
Haben Sie sich mit den Lehren des Aidiras-Mysteriums und besonders des Einen Wegs auseinander gesetzt?“, fragte er Auric.
„Ein wenig, aber nicht besonders intensiv.“
„Das Aidiras-Mysterium“, erklärte Silgenja, „unterwirft die Glaubenslehre an Inaim einem fundamentalen Grundsatz. Dieser lautet: Die Welt ist Logik.
Und das Symbol ist der reinste Ausdruck dieser Logik.
Symbol und Figur sind für die Aidiras-Anhänger das Ursprüngliche. Sie sind die Basis der Welt. Für sie ist die ganze Welt ein System von Symbolen und jede Gegebenheit in diesem symbol- und logikstrukturierten Kosmos lässt sich daher mit Symbolen beschreiben. Darauf beruht das System ihrer Kenan-Steine.
Wenn alle Gegebenheiten der Welt aber auf Symbolen und Figuren beruhen und diese sich im Kenan beschreiben lassen, so kann man diese Gegebenheiten auch neu schreiben. Und dadurch die Realität manipulieren.
Das ist, kurz gefasst, die Magie des Einen Weges, so wie sie mir Vikarin Berunian erklärt hat.“
„Die andere Frage ist, wozu will die Loge des Einen Weges diese Magie nutzen?“
„Macht“, erwiderte Silgenja. „Die Mehrung von Macht. Wozu sonst? Festigung ihres Einflusses. Vielleicht sogar gegen innere und äußere Feinde des Reiches. Vielleicht decken sich unsere Ziele ja in Teilen. Aber das ändert nichts. Jeder der eine solche Macht in Händen hält, kann sie nutzen wofür er will. Wenn er sie nicht der Macht und Kontrolle des Staates unterwirft, ist er eine Gefahr für diesen Staat. Das ist der Kernpunkt dieser Enthüllung. Dies ist, was Vikarin Berunian als überzeugte Vertreterin der Grundsätze des idirischen Staates – so sagt sie jedenfalls – dazu gebracht hat, aus der Loge auszusteigen und uns diese streng gehüteten Geheimnisse mitzuteilen.“
„Glauben Sie ihr?“
Silgenja schürzte die Lippen und blickte für einen Moment nachdenklich in die Luft.
„Sagen wir, ich glaube ihr nicht vollständig“, sagte er. „Ich habe in unseren Unterredungen das Gefühl gewonnen, dass Berunian noch weitere Informationen hat, die sie uns vorenthält.“ Silgenja gestikulierte vage mit der Linken in der Luft, als wollte er irgendetwas greifen, etwas Unbestimmtes zu fassen bekommen. „Da ist noch etwas, ich spüre es. Es gibt da irgendetwas, um das sie mit ihren Enthüllungen herumtanzt, womit sie aber nicht herausrücken will. Sie verbirgt etwas vor uns.“
Silgenja fasste die Lehnen seines Stuhles, stemmte sich halb hoch. „Aber um uns damit auseinander zu setzen, haben wir keine Zeit. Wichtiger ist, dass wir die Vikarin in Sicherheit bringen. So wie wir es geplant haben.“
Silgenja stand ganz auf, Auric tat es ihm gleich.
„Sie brechen so bald wie möglich auf. Wann können Sie fertig sein? In ein paar Stunden? … Gut. Zwei Mitglieder der Kutte werden sich in ihrer Leibgarde befinden. Sie werden in kleiner Gesellschaft und mit leichtem Gepäck so schnell wie möglich nach den Häfen von Baraneum reisen. Sie werden während der Reise Zeit haben, der guten Vikarin genauer auf den Zahn zu fühlen. Sie können jederzeit mit mir in Kontakt treten, denn sie haben ihren persönlichen Senphoren zugeteilt bekommen, der mit ihnen reist.“
Silgenja reichte Auric zum Zeichen des Abschieds die Hand.
„Glauben Sie“, fragte Auric, „dass hinter all dem, dem Attentat erst auf mich, dann auf Kelam,
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